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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold
Autoren: Carrie Jones
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du mit, was ich mit deiner Mutter berede?«
    Es schnürt mir die Kehle zu. Ich bringe ein Nicken zustande.
    »Ab ins Bett, Fräulein!«
    Ich renne die restlichen Stufen hinauf und stürme in mein Zimmer. Mit den Spitzenvorhängen und der kuscheligen Patchworkdecke auf dem Bett kommt mir auch mein Zimmer gar nicht so übel vor. Die Wände sind mit einer blassen Farbe gestrichen und nicht aus Holz. Auch die Kartons mit meinen Kleidern stehen schon da. Ich reiße mir die Jeans und den Kapuzenpulli vom Leib und schnappe den Bademantel, der an einem Haken innen an der Tür hängt. In den flauschigen, babyblauen Stoff ist ein Z eingestickt. Ich wickle mich hinein und einen Augenblick lang bin ich fast glücklich. Die warme Dusche, die den Flughafendreck wegspült, fühlt sich wunderbar an, obwohl alle Fliesen mit Entenabziehbildchen beklebt sind. Nach dem Abtrocknen eile ich zurück in mein Zimmer. Ich darf mich ganz allein einrichten. Sogar mein Amnesty-International-Poster hänge ich auf: eine mit Stacheldraht umwickelte Kerze, das Symbol der Organisation. Ich starre in die Flamme auf dem Bild und fühle mich fast – aber noch nicht ganz richtig – geborgen. Als ich die Menschenrechtsberichte hervorziehe, streckt sie den Kopf durch die Zimmertür.
    »Kommst du klar mit dem Einräumen?«
    »Ja. Danke, dass ich hier sein darf.« Ich lasse die Berichte auf einem Stapel liegen, stehe auf und lächle sie an.
    Sie lächelt zurück und lässt an einem der Fenster die Jalousie herab. »Es ist mir eine Ehre, dass ich Zeit mit meiner einzigen Enkeltochter verbringen darf.«
    Ich gehe zum anderen Fenster, um dort die Jalousie zu schließen, aber zuerst will ich hinausschauen. Dazu muss ich die von der Kälte beschlagene Scheibe freiwischen. Draußen gibt es nur Dunkelheit und Bäume, Dunkelheit und Bäume. Ich lasse die Jalousie herab. »Ich will morgen nicht zur Schule gehen.«
    Sie kommt und stellt sich neben mich. »Natürlich willst du nicht.«
    »Ich will eigentlich überhaupt nicht viel tun.«
    »Ich verstehe das, aber es wird besser werden.« Sie stößt mich mit der Hüfte an und legt dann einen Arm um meine Schulter. »Du kannst natürlich beten, dass es schneit.«
    Ich erwidere ihre Umarmung. »Das ist eine fantastische Idee. Vielleicht könnte ich den Schneetanz aufführen.«
    Sie lacht. »Hat dein Dad dir den beigebracht?«
    »Klar. Du wirfst einen Eiswürfel ins Klo und tanzt dann laut ›Schnee, Schnee, Schnee‹ singend um die Kloschüssel herum.«
    »Bis der Würfel geschmolzen ist. Ach, mein Sohn. Er fehlt mir wirklich.« Sie lehnt sich einen Augenblick an mich und legt mir ihre kräftige Hand auf den Rücken. »Ich bin froh, dass du da bist und mir Gesellschaft leistest, auch wenn das egoistisch ist. Aber keine Angst. Es wird dir hier gut gehen, Zara. Dafür sorge ich.«
    »Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich Bock auf Schule habe.« Ich löse mich von ihr und kreuze die Arme vor der Brust.
    Sie küsst mich auf den Kopf. »Das wird schon alles klappen, Prinzessin. Und wenn dir jemand dumm kommt, dann knöpf ich ihn mir vor, okay?«
    Bei der Vorstellung, dass meine alte lebensrettende Großmutter jemanden verprügelt, muss ich lachen, obwohl ich weiß, dass ich über Gewalt eigentlich nicht lachen sollte.
    »Ich meine das ernst, Zara. Wenn dir jemand Scherereien macht, sag mir Bescheid. Wenn dir jemand Angst macht oder dich belästigt, sag es mir. Das ist meine großmütterliche Pflicht. Und die will ich wahrnehmen. Einverstanden?«
    Draußen fällt immer noch Schnee. Fröstelnd schaue ich auf und sehe ihr in die Augen. Sie sind bernsteinfarben wie die einer Wildkatze. Die Pupillen scheinen sich ein bisschen zu weiten, denn sie meint, was sie sagt.
    Ich nehme ihre Hand. »Einverstanden.«
    Das Heulen weckt mich mitten in der Nacht.
    Ein lang gezogener, schmerzerfüllter Ton.
    Ich schaudere und setze mich in meinem Bett auf.
    Wieder heult draußen etwas. Nicht weit entfernt.
    Koyoten?
    Auf eine Reihe von aufgeregten Jaultönen folgt wieder ein langes Heulen. Ich muss an den Film denken, den wir in Biologie gesehen haben über das Verhalten von Koyoten, wenn sie Beute geschlagen haben. Das hier klingt ganz ähnlich, aber nicht genau wie Koyoten, eher tiefer, wie große Hunde oder Wölfe.
    Ich tapse hinüber zum Fenster, ziehe den Vorhang beiseite und schaue hinaus. Eine weiße Decke breitet sich über den Rasen und mein Auto. Im gleißenden Mondlicht wirkt der Schnee, als bestehe er aus glitzernden und
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