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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold
Autoren: Carrie Jones
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lässt den Motor an. »Klar. Es fällt ihr schwer, dich gehen zu lassen.«
    »Dann hätte sie mich nicht wegschicken sollen.«
    »Du meinst, sie hätte dich weggeschickt?«
    Ich zucke die Achseln und lege die Hände zurück in den Schoß.
    »Sie will nur, dass du nicht …«
    »Was? Dass ich nicht den Verstand verliere?« Ich lache, aber es klingt hart und bitter und überhaupt nicht so, als solle es von mir kommen. Irgendwie hallt es in meiner Brust nach. »Sie schiebt mich in ein Land mit null Bevölkerungswachstum ab, damit ich bei Verstand bleibe?«
    »Höre ich da eine gewisse Verbitterung heraus, Schätzchen?«
    »Ja. Ich weiß. Tut mir leid.«
    Betty lächelt. »Verbittert ist besser als nichts. Nachdem, was deine Mutter sagt, warst du schrecklich niedergeschlagen, gar nicht mehr die alte, eigensinnige Weltretterin.«
    »Er ist tot, Betty.«
    »Ich weiß, Liebes. Aber er würde wollen, dass wir weiterleben. Mein Gott, was für ein banales Geschwätz, aber es stimmt.«
    Für eine Großmutter ist Betty ziemlich in Ordnung. Früher hat sie ein Lebensversicherungsunternehmen geleitet, aber dann ist mein Großvater gestorben und sie hat sich in den Ruhestand zurückgezogen. Außer Golf spielen und fischen hatte sie nichts zu tun, deshalb legte sie sich ein paar neue Interessen zu.
    »Zuerst werde ich mich selbst verbessern und dann die Gesellschaft«, sagte sie zu meinem Dad. Sie begann zu laufen und trainierte, bis sie mit fünfundsechzig beim Boston-Marathon mitlaufen konnte. Nachdem sie dieses Ziel erreicht hatte, erwarb sie den schwarzen Gürtel. Dann wurde sie Rettungssanitäterin. Und das ist sie immer noch. Sie ist leitende Rettungssanitäterin der Downeast Ambulance in Bedford, Maine, aber sie lässt sich nicht dafür bezahlen.
    »Ich habe meine Rente. Ich möchte, dass die jungen Männer mit Familie das Geld bekommen«, erklärte sie meinem Dad, als sie damals anfing, Rettungseinsätze zu fahren. »Das ist nur fair.«
    Fairness ist Grandma Betty immer sehr wichtig.
    »Ich weiß nicht, ob es fair ist, dass du eine alte Schachtel wie mich am Hals hast«, sagt sie jetzt, während wir die Route 1A in Richtung Bedford hinunterfahren.
    Ich zucke die Achseln, weil ich nicht darüber reden will.
    Grandma Betty bemerkt es. »Das Herbstlaub ist wunderschön, nicht wahr?«
    Das ist ihre Art zu verhindern, dass ich darüber reden muss.
    »Stimmt«, sage ich. Die Bäume, an denen wir vorbeifahren, sind alle schon bunt. Ich muss daran denken, dass es eine Abschiedsvorstellung ist, bevor sie über den Winter kahl werden. Jetzt sind die Blätter wunderschön, aber sie halten kaum noch an den Ästen. Bald fallen sie ab. Viele sind schon unten. Sie verrotten auf dem Boden, werden zusammengerecht, verbrannt, zertrampelt. Nicht ganz leicht, in New England ein Blatt zu sein.
    Ich fröstle wieder.
    »Dir ist schon klar, dass wir uns einfach Sorgen um dich machen?«
    Ich zucke die Achseln: Zu mehr kann ich mich nicht durchringen.
    Betty dreht die Heizung höher, und die warme Luft bläst mir ins Gesicht. Sie lacht. »Du siehst aus wie ein Model, dessen Haare von einem Ventilator aufgewirbelt werden, damit du besonders sexy wirkst.«
    »Schön wär’s«, murmle ich.
    »Du wirst dich an die Kälte gewöhnen.«
    »Es ist einfach so total anders als Charleston, so kalt und öde …« Ich stütze den Kopf in die Hände, merke aber gleich, wie melodramatisch das wirkt. »Tut mir leid. Ich jammere hier nur rum.«
    »Du darfst jammern.«
    »Nein, darf ich nicht. Ich hasse rumjammern. Ich habe keinen Grund zu jammern, schon gar nicht dir gegenüber. Aber die Landschaft hier in Maine ist einfach nicht halb so üppig oder lebendig. Als ob sich der komplette Staat darauf vorbereiten würde, den ganzen Winter lang unter Schnee begraben zu werden. Das ist eine Jahreszeit des Todes. Sogar das Gras sieht aus, als hätte es aufgegeben.«
    Sie lacht und sagt mit unheimlicher Stimme: »Und die Bäume. Sie kreisen dich ein, sodass du nicht weit in die Ferne sehen kannst, aber du kannst auch nicht erkennen, was auf dem Boden ist oder zwischen den Farnen lauert oder hinter den Baumstämmen in den Büschen.«
    Meine Hand drückt gegen die kalte Scheibe. Ich mache einen Handabdruck.
    »Wir sind nicht in einem Horrorfilm, Zara.« Sie lächelt mich an, damit ich weiß, dass sie irgendwie Verständnis hat, aber sie neckt mich auch. So ist Betty eben.
    »Ja, klar.«
    »Aber verglichen mit Charleston ist es kalt in Maine. Du musst dich warm einpacken hier
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