Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
wieder mitgeteilt. Aber, wie gesacht.« Dabei hatte Harry sofort seinen kleinen Kopf mit dem Cordhut vor Augen.
    »Ich weiß sowieso nicht, wer diese Bilder klauen soll«, sagte die Putzfrau. »Hier nebenan, der Jesus mit sein’ grünen Kopp. Ich krieg jedes Mal ’n Schreck. Aber sollen ja wohl was wert sein.«
    »Grüne Augen, Frau Quarg. Un roode Hoor. Nix für unser Wohnzimmer, was?«, witzelte der Hausmeister.
    »Ja, aber is doch so. Die von der Stiftung haben nur ihre Bilder im Kopp. Wie gründlich ich die Ecken mach, dat sehen die gar nich.«
    Die Stimmen der beiden waren jetzt ganz nahe gekommen. Und plötzlich wurde die Türklinke von Harrys Abstellkammer runtergedrückt. Schlagartig spürte er das Blut in seinem Kopf pulsieren. Ein Lichtkegel fiel von draußen in den dunklen Raum.
    »Auf den Schreck muss ich erst mal eine rauchen«, sagte die Putzfrau, und aus der Nähe klang ihre Stimme noch heiserer.
    Aber bitte nicht hier bei mir in der Abstellkammer, dachte Harry.
    Für einen kurzen Moment sah er das blaugeflammte Muster einer Kittelschürze und den Kopf der Frau mit |28| der filzigen Dauerwelle im Gegenlicht. Harry hielt hinter seiner Stellwand die Luft an. Er sah ihre Hand, die sich von dem oberen Regal gleich neben der Tür eine »Peer Export«-Schachtel herunternahm, sich eine Zigarette herausholte und die Packung wieder zurücklegte. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, saß Harry wieder im Dunkeln. Jetzt hätte er auch gern eine geraucht. Er war fast versucht, sich auch eine »Peer Export« aus der Schachtel von Frau Quarg zu nehmen.
    Nachdem der Hausmeister gegangen war und im Raum mit dem Altarbild der Staubsauger wieder lief, schlich Harry aus seinem Versteck und löste die Alarmanlage zwei weitere Male aus.
    Frau Quarg holte den Mann mit dem Cordhut ein zweites und ein drittes Mal. Und der Ton der beiden wurde dabei immer unfreundlicher.
    »Ich will hier ja auch langsam mal fertig werden«, motzte sie.
    »Ja, was soll ich denn sagen. Ich hab grad ’ne Gulaschsuppe au Herd«, antwortete er. »Aber jetzt is Feierabend.«
    Als Harry ein viertes Mal den Rahmen der ›Badenden‹ bewegte, blieb der Alarm aus. Jetzt wollte der Hausmeister offenbar in Ruhe seine Suppe essen und hatte die Anlage ausgestellt. In seinem Versteck horchte er, wie Frau Quarg noch eine Weile im Hause rumhantierte. Er hörte mehrmals einen Metallbügel an einen Wassereimer schlagen und einen Besen oder Schrubber umfallen. Schließlich verließ die Putzfrau über den Kiesweg das Museumsgelände. Im Museum war es jetzt stockdunkel. Nur im Flur brannte eine kleine Sicherheitsleuchte |29| über dem Fußboden. Harry war allein, eingeschlossen im Nolde-Haus. Durch einen schmalen Fensterschlitz im ersten Stock, der sich von innen öffnen ließ, wollte er dann mit den Bildern das Museum verlassen. Ob er durch das Fenster hindurchpasste, hatte er vorher allerdings nicht ausprobieren können.
     
    Doch bis dahin war sein Plan aufgegangen. Harry nahm die ›Feriengäste‹ von der Wand. Der Alarm blieb auch diesmal aus. Mit wenigen sorgfältigen Handgriffen und der Routine eines Malers, der schon etliche Bilder gerahmt und Leinwände bespannt hatte, löste er unter Zuhilfenahme der kleinen Zange das Bild aus dem Holzrahmen. Nur die Baumwollhandschuhe waren ungewohnt. Im Schein der Taschenlampe, die er sich beim Hantieren zwischen die Zähne klemmte, hielt er die auf den inneren Rahmen geheftete Leinwand in den Händen. Das Bild wirkte jetzt kleiner als in dem schweren dunklen Holzrahmen an der Wand. Er ließ den schmalen Lichtkegel kurz über die Sommerkleider der Frauen und den Mann mit der weißen Schirmmütze streifen und verstaute das Bild in der Neckermann-Tüte.
    Er hängte den leeren Mahagonirahmen an die Wand zurück und löste dann mit dem Teppichmesser nacheinander die papiernen Rückwände der zwei ›ungemalten‹ Nordsee-Landschaften und des ›Seltsamen Paares‹, die er sich ausgesucht hatte. Es ging ganz leicht. Er konnte die Passepartouts mit den bemalten Japanpapieren ohne Mühe herausziehen. Als er gerade das dritte Bild, das rot-orange-gelb und blau strahlende |30| ›Meer im Abendlicht‹ aus dem Rahmen löste, leuchtete plötzlich gleißend die Deckenbeleuchtung auf, und im selben Moment stand die Putzfrau Quarg in der Tür. Er war wohl so vertieft in seine Arbeit gewesen, dass er sie überhaupt nicht hatte kommen hören.
    »Wat machen Sie denn hier noch?« Wie angewurzelt blieb sie in der Tür stehen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher