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Flucht aus Oxford

Titel: Flucht aus Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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mich hier in Gatt’s Hill gefunden hast.«
    »Nun, ich war bei dir zu Hause in Oxford. Agatha Street, glaube ich. Nach welcher Agatha mag die Straße wohl benannt worden sein?«
    »Wahrscheinlich nach der Großtante des Erbauers«, erwiderte Kate. »Und weiter?« Endlich saß ihre Mutter still, und sie hatte Zeit, sie genauer zu betrachten. Roz’ Haut war tief gebräunt, wahrscheinlich von vielen Jahren Sonnenschein in Florida, Kaschmir oder sonst wo auf der Welt. In den Augenwinkeln zeichneten sich feine helle Fältchen ab. Offenbar hatte sie auf ihren Reisen viel Spaß gehabt und häufig gelacht. Ob sie ihre Tochter überhaupt je vermisst hatte? Doch das war eine Frage, die Kate auf keinen Fall stellen wollte.
    »Na ja, auf jeden Fall warst du nicht da. Warum bist du umgezogen?«, fragte Roz. »Was haben diese fremden Menschen in deinem Haus zu suchen? Besonders hilfreich waren sie auch nicht gerade. Ich musste mir ein paar gute Ausreden einfallen lassen, ehe sie mit deiner neuen Adresse herausrückten. Warum hast du dich hier am Ende der Welt verkrochen?«
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte Kate.
    »Wir haben viel Zeit. Du tust doch nichts, soweit ich gesehen habe.«
    »Noch eine Tasse Tee?«
    »Nein, danke. Soll ich den zollfreien Whisky holen?«
    »Nur zu, wenn du so nötig einen Drink brauchst.«
    »Ich trinke so gut wie nie, aber du siehst mir ganz danach aus, als könnte dir ein kleiner Muntermacher nicht schaden«, erwiderte Roz steif.
    Sie starrten einander an. Kates Mutter hatte die Patchworkjacke aus Samt abgelegt und trug jetzt eine gemusterte Bluse und ein langes Designer-Oberteil. Ihre Kleidung wirkte fremdländisch, fast exotisch, und wogte und bauschte sich um ihren schlanken Körper. Die herbstlichen Farben passten gut zu ihrem Teint. Sie hatte einen dunkelroten Lippenstift aufgelegt, und Kate wurde sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass sie überhaupt nicht geschminkt war und vermutlich sehr blass und verhärmt wirkte.
    »Wo warst du die ganze Zeit? Warum hast du dich nie gemeldet?«, fragte Kate.
    »Ich war im Ausland. Mal hier, mal dort. Und zu Weihnachten habe ich dir geschrieben.«
    »Schon, aber das war 1994.«
    »Ich bin sicher, so lang ist es noch nicht her. Eher 1996.«
    »1994. Ich habe die Karte einige Zeit aufbewahrt. Und was ist mit meinem Geburtstag?« Kate stellte fest, dass ihre Stimme wie die eines verletzten Kindes klang.
    »Ich dachte, du hättest inzwischen längst aufgehört, deine Geburtstage zu zählen. Wer will denn schon an sein Alter erinnert werden?«
    »Du hast vielleicht aufgehört zu zählen. Ich nicht. Sieh dich doch an! Du scheinst nicht über 1968 hinausgekommen zu sein!«
    »Gefällt dir das Oberteil nicht? Wahrscheinlich würdest du mich lieber in einer Burka sehen. Wenn ich mich recht erinnere, war Tariq ganz scharf darauf. Ich hingegen finde die Burka eher unvorteilhaft.«
    »Tariq?«, erkundigte sich Kate, die endlich auf einen Anhaltspunkt im Leben ihrer Mutter hoffte.
    »Ach, ein früherer Freund«, gab Roz wegwerfend zurück. »Du hättest ihn nicht gemocht, ganz bestimmt nicht.«
    Am ausdruckslosen Gesicht ihrer Mutter erkannte Kate, dass Roz nicht die Absicht hatte, mehr über diesen geheimnisvollen Tariq zu erzählen. »Und was um alles in der Welt ist eine Burka?«, fragte sie.
    »Einer dieser scheußlichen Umhänge, die dazu dienen, Männer vor dem Anblick weiblicher Reize zu schützen.«
    »Nein, das wäre bestimmt nicht dein Stil«, sagte Kate im Brustton der Überzeugung.
    »Sondern? Etwa ein schickes kleines Kostüm aus dem Hause Agnès B.?«
    Der Gedanke war so abwegig, dass beide losprusteten.
    »So gefällst du mir schon viel besser.« Roz nickte. »Du siehst aus, als hättest du schon seit Wochen nicht mehr gelacht. Was ist bloß los mit dir? Möchtest du es dir nicht von der Seele reden?«
    Kate antwortete nicht sofort. Stattdessen trank sie einen Schluck ihres bereits abgekühlten Tees. »Ich bemühe mich noch immer, die ganze Sache zu vergessen«, begann sie schließlich. »Allerdings ohne Erfolg.« Roz nickte ermutigend, und Kate fuhr fort: »Ich muss ständig daran denken. Ich habe es nicht fertiggebracht, in der Agatha Street zu bleiben, weil ein ganz lieber alter Freund im Flur meines Hauses gestorben ist. Sein Name war Andrew Grove. Nein«, unterbrach sie sich, »ich bin schon wieder dabei, die Wahrheit schönzureden. Er ist nicht einfach gestorben, er wurde getötet. Ermordet. Wäre er nicht ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt
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