Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht aus Oxford

Titel: Flucht aus Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
Vom Netzwerk:
Gummistiefeln führte ihren Hund spazieren. Ein junger Mann in dunkler Kleidung und schwerem Schuhwerk ging vorüber, ohne einen Blick an das Cottage zu verschwenden. Er hatte das Profil einer klassischen Statue, regelmäßige, gut geschnittene Züge und blauschwarzes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Seine Haut war tief gebräunt; er sah aus, als würde er viel Zeit an der frischen Luft verbringen. Kate sah ihm nach, bis er verschwand.
    Weiter unten auf der Straße näherte sich ein Auto, das noch nicht zu sehen war. Kate identifizierte das unverkennbare Motorengeräusch eines alten VW-Käfers. Ein Vehikel mit Seltenheitswert, dachte sie und wartete, bis der Wagen in Sicht kam. Tatsächlich. Er war knallgelb, hatte jede Menge Rostflecken und einige Dellen. Vor dem Cottage kam das Auto stotternd zum Stehen. Die Fahrerin öffnete die Tür mit einem Faustschlag und streckte ihre langen Beine auf den grasigen Randstreifen hinaus. Die Beine waren in blickdichte rote Strümpfe gehüllt, die schmalen Füße steckten in schwarzen Wildlederstiefeln. Den Beinen folgten ein dunkelvioletter Rock und eine bunte Patchworkjacke. Die dazugehörige Frau war groß und schlank und hatte dichte braune Locken. Sie holte eine große Ledertasche und einige Plastikbeutel vom Beifahrersitz und ging auf Kate zu. Am Gartentor blieb sie stehen und begutachtete ihr Schuhwerk.
    »Ich hatte vergessen, wie matschig es hier auf dem Land ist«, sagte sie. »Jetzt habe ich mir meine Lieblingsstiefel versaut.« Die Frau hatte eine heisere dunkle Stimme, die sie, wie Kate vermutete, vielen Zigaretten und alkoholischen Getränken in exotischen Nachtclubs zu verdanken hatte. Sie und Kate musterten sich eine Weile. »Was zum Teufel hat dich hier ans Ende der Welt verschlagen?«, fragte die Frau schließlich. Ihre Haut war so gebräunt, dass das Grau ihrer Augen fast farblos wirkte.
    »Hallo, Mutter«, sagte Kate.

2
    »Wie hast du mich gefunden?«, fragte Kate.
    »Ist das eine angemessene Begrüßung für deine verloren geglaubte Mutter? Willst du mich nicht wenigstens hineinbitten?«
    »Ich habe dich nicht verloren. Du hast mich verloren, als du vor vielen Jahren einfach verschwunden bist«, fauchte Kate, ehe sie sich auf ihre Manieren besann und hinzufügte: »Ja, natürlich. Komm ins Haus. Schön, dich zu sehen.« Ein wenig ungeschickt – immerhin hatten sie sich seit mehr als zehn Jahren nicht mehr umarmt – legte sie flüchtig die Arme um ihre Mutter.
    »Wie geht es dir?«, fragte sie.
    »Ganz gut.« Sie schienen nicht über Banalitäten hinauszukommen.
    »Tut mir leid wegen deiner Stiefel. Wenn du sie an die Hintertür stellst, bürste ich sie nachher ab.«
    »Vergiss die Stiefel. Wie geht es dir? Ich finde, du wirkst etwas abgemagert.«
    »Vielleicht bin ich einfach nur älter geworden.«
    »Quatsch. Mit dem Älterwerden fängt man frühestens an, wenn man deutlich jenseits der vierzig ist. Und jetzt steh nicht rum, sondern hilf mir, das Auto auszuladen.« Gehorsam folgte Kate ihrer Mutter zum Auto, das in einem merkwürdigen Winkel zur Straße abgestellt war: ein Reifen auf dem Randstreifen, die anderen drei auf dem Asphalt. »Nimm das hier«, befahl ihre Mutter knapp.
    Kate betrachtete den blauen Koffer, an dem die Überreste diverser Aufkleber von Fluglinien hafteten. Am Griff baumelte ein handgeschriebener Adressanhänger: Roz Ivory . Wie lange war es her, dass sie diesen Namen zuletzt gesehen hatte? Kate hatte schon beinahe vergessen, dass sie so etwas wie eine Mutter überhaupt besaß. Allerdings schien die Frau vor ihr auch nicht gerade eine besonders geeignete Kandidatin für den Job zu sein. Wie in Trance schleppte Kate den Koffer ins Haus.
    Eine Minute später erschien ihre Mutter mit einem noch größeren Gepäckstück in Grün, einer verblichenen Stofftasche aus den Siebzigerjahren und diversen Plastiktüten. Sie stellte alles neben den blauen Koffer, wobei der Haufen die Ausmaße eines jungen Elefanten annahm. Kate konnte sich gerade noch bremsen, ihre Mutter zu fragen, wie lange sie bleiben wollte.
    »Wie wäre es, wenn du mir den Weg zum Gästezimmer zeigen würdest?«, schlug Roz vor.
    Kate öffnete den Mund, um abzulehnen und ihre Mutter zu fragen, wie sie auf die Idee käme, dass sie nach so vielen Jahren noch Lust habe, sie wiederzusehen, doch dann schloss sie ihn wieder, griff nach einem der Koffer und einigen Plastiktüten und stieg vor ihrer Mutter die schmale Treppe hinauf. Im Obergeschoss gab es zwei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher