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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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Piratensender namens Myth FM , den ich mag), konnte aber auf der schrottreifen Musikanlage in meinem Auto nur abgehacktes weißes Rauschen finden. Die Londoner Luft muss mit statischer Elektrizität gesättigt sein, denke ich immer; die elektromagnetischen Wellen, die aus Autos, Mikrowellenherden und Telefonleitungen aufsteigen, sind ein ebensolcher urbaner Rückstand wie Rost und Staub und Ruß – ich zweifle nicht daran, dass die Ratten, Tauben und Kakerlaken inzwischen gelernt haben, mithilfe dieser Wellen ihren Weg durch die Stadt zu finden.
    Bei Zroszak angekommen, drückte ich auf die Klingel, aber aus der Sprechanlage kam keine Antwort, also wartete ich in der Kälte, und als eine junge Frau in einem grauen Kleid herauskam, grapschte ich nach der hinter ihr zufallenden Haustür. Die Frau rümpfte im Vorbeigehen die Nase. Oben stand die Tür der Wohnung 3B einen Spalt offen. Das Schloss war aufgebrochen. Ich klopfte, erhielt aber wieder keine Antwort, also sagte ich: »Mr   Zroszak?« und drückte die Tür auf.
    In der kleinen, kärglichen Wohnung sah ich Zroszak hinter dem Schreibtisch knien, als würde er beten; sein Kopf war nach vorn gefallen, sodass sein Gesicht verborgen war. An der Schreibtischkante klebte getrocknetes Blut, und dort, wo es auf den Teppich getropft war, hatte es einen dunklen Fleck hinterlassen. Als ich näherkam, konnte ich die grünlich-schwarzen Venen erkennen, die auf seiner Stirn hervortraten, und ich konnte die Fäulnis riechen, die bereits einzusetzen begann, als würde eine alte stumpfe Klinge langsam geschärft. All das war mir vertraut aus den vielen Fernsehfilmen mit glamourösen Gerichtsmedizinerinnen, die ich immer sehe – solche, bei denen du fast wünschst, ermordet zu werden, nur damit eine dermaßen heiße Frau deine Lungen in ihren weichen Händen hält, und in denen sie den Tatort wie eine alternde Filmschauspielerin mit Puder und Pinzetten und respektvollem Gemurmel präparieren – aber ich war kein Detektiv und wollte mich einfach nur umdrehen und wegrennen.
    Zitternd wählte ich Grublocks Nummer.
    »Fishy?«
    »Er ist tot«, sagte ich.
    »Ach, verdammter Mist. Wie?«
    »Erschossen, glaube ich. Mit einer Knarre.«
    »Verdammter Mist. Die verfluchten Japaner, wette ich. Eines dieser grässlichen kleinen Konsortien. Ständig hecken sie solchen vulgären Unsinn aus. Na gut. Vielen Dank, Fishy. Geh nach Hause. Ich schicke jemanden rüber, der weiß, was zu tun ist.«
    Ich legte auf. Als ich mich umsah, wurde mir klar, dass die Wohnung geplündert worden war. Die Schubladen des Aktenschranks waren herausgezogen und geleert worden. In keinem der Regale standen Bücher. Auf dem Schreibtisch lagen neben dem Kopf des Ermordeten ein Zeichenblock, ein Bleistift, ein Radiergummi und ein Buch mit dem Titel Wie man Hunde und Katzen zeichnet . Wenn es abgesehen davon in dieser trostlosen Wohnung die leiseste Spur von Zroszaks Persönlichkeit gegeben hatte, so fehlte sie jetzt wie die Moral einer Geschichte, an die ein vergesslicher Erzähler sich nicht mehr erinnert.
    Wenn ich etwas Wichtiges herausfinden könnte, dachte ich, würde mir Grublock wahrscheinlich einen Tiger-Panzer zu Weihnachten schenken. Aber selbst wenn der Mörder oder die Mörder etwas übersehen hatten, schien es mir unmöglich, nach Spuren zu suchen, solange Zroszaks Leiche dort lag. Allein der Gedanke ließ mich in die winzige Küche flitzen, um einen Eiswürfel zum Lutschen zu holen – das bewährte Mittel meiner verstorbenen Mutter gegen Angstzustände.
    Das Licht in Zroszaks Gefrierschrank funktionierte nicht, und die Eiswürfelschale war auf der untersten Ablage festgefroren. Ich zog fest daran, und sie löste sich mit einem Geräusch, das wie ein frostiger Husten klang. Dabei fiel etwas auf den Boden.
    Ich bückte mich und hob es auf. Es war ein Päckchen aus verschweißter Folie und sah aus wie die Tomatensuppe eines Astronauten. Mit meinem Schweizer Armeemesser schnitt ich es auf. Darin steckte ein vergilbtes Blatt Papier, zweifach gefaltet. Ich strich es auf dem Küchentisch glatt und überflog den mit der Maschine geschriebenen Text. Der Briefkopf trug die Adresse des Führerbaus in der Münchner Arcisstraße, das Datum war der 4.   Oktober 1936, und das Schreiben war an einen gewissen Philip Erskine in London gerichtet. Als ich die Unterschrift des Absenders sah, griff ich hektisch nach einem Eiswürfel.
    Verehrter Doktor Erskine!
    Ich habe Geschenke von Päpsten, Magnaten und
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