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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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kleine Zulage mit der Hand macht). Umgekehrt frage ich mich auch häufig, ob ich auf eine Trophäe wie die Reiseschreibmaschine im Austausch für eine Heilung meiner Trimethylaminurie verzichten würde; und sosehr ich diese Krankheit hasse: Ehrlich gesagt wäre ich nicht nur willens, mit ihr zu leben, sondern ich würde ohne Skrupel auch Stuart anstecken, wenn ich dafür diese Schreibmaschine in die Finger bekäme.
    Ich erwähne das alles nur, damit Sie verstehen, dass ich nicht so bin wie Grublock. Nicht im Geringsten. Einmal hörte ich, wie mein früherer Arbeitgeber einem Investor aus Russland seine riesige Sammlung erklärte. »In gewissem Sinne bin ich vermutlich ein Nazi«, sagte er nachdenklich. »Ich bewundere ihre Zielstrebigkeit. Ihren Mut. Ihren Stil, im Sinne von Nietzsche. Sie haben kein Abweichen von ihrer Vision geduldet, und das ist eine Lektion, die wir alle lernen sollten. Und natürlich liebe ich die Architektur, obwohl das meiste leider nur als Entwurf existiert.«
    »Und hassen Sie auch die Juden?«, fragte der Russe.
    »Absolut nicht. Wie ich schon sagte, habe ich großen Respekt für bestimmte Aspekte des Nationalsozialismus, aber nicht für ihre merkwürdigen und peinlichen Phobien. All das ist irrational, und irrational bin ich nicht. Man kann Sammler mit solchen perversen Neigungen leicht erkennen. Sie haben die Bücher, die angeblich in Menschenhaut gebunden sind, und die Seifenstücke, die angeblich aus menschlichem Körperfett gemacht worden sind. Idiotisch. Gegerbte Menschenhaut ist kaum von gegerbter Schweinehaut zu unterscheiden, und das mit der Seife ist nur ein Mythos. Aber sie wollen es für wahr halten und verschwenden ihr Geld dafür. Das heißt, wenn sie keine Holocaust-Leugner sind – in diesem Fall findet man nichts von den üblen Sachen, sondern eher neuere dokumentarische ›Beweise‹, die belegen, dass Dachau nur ein experimenteller Gemüsegarten war, oder solchen Blödsinn.« Er trank seinen Gin Tonic aus. »Nein, ich hasse Juden gewiss nicht. Mir tun die Opfer der Nazis leid, sofern es möglich ist, dass einem eine Unmenge proletarischer Ausländer leidtun, die Jahrzehnte, bevor man geboren wurde, ums Leben gekommen sind. Und ich gebe zu, dass Hitler vermutlich verrückt oder böse oder ein elender Dreckskerl war, sofern es überhaupt einen Unterschied zwischen den dreien gibt und sofern es überhaupt sinnvoller ist, diese Begriffe auf einen toten Diktator anzuwenden als auf ein Erdbeben oder einen Wirbelsturm. Und ich halte es für einen Fehler, dass er versuchte, Europa zu unterjochen, sofern die politischen Ziele des einen legitimer oder weniger legitim sein können als die des anderen.«
    Das Absurde an Grublocks Sammlung, die das obere Stockwerk seines dreistöckigen Penthouse einnahm, war übrigens die Tatsache, dass sie die Nazis selbst übertraf: Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte des Dritten Reiches war so viel Pracht in einem einzigen Raum versammelt gewesen. Es wirkte vielmehr, als hätten ein paar Unternehmer aus Las Vegas ein Casino namens Hitler’s Palace gebaut. Das Prunkstück der Inszenierung war ein Glaskasten mit der Luftwaffenuniform des Generals Walther von Axthelm, komplett mit Ritterkreuz und einem smaragdbesetzten Jagddolch, dessen Klinge ursprünglich Napoleon gehört hatte. Daneben stand Grublocks wertvollster Schatz, ein hinreißendes Falknerkästchen aus Porzellan, das für den Reichsjägermeister Hermann Göring angefertigt worden war. Der Rest des Raums war vollgestopft mit weiteren Uniformen, Orden, Folterinstrumenten, Ziergegenständen und Gemälden, alles beleuchtet von schummrigen kleinen Spotlights. An den Wänden hingen lange rote Seidenfahnen mit schwarzen Hakenkreuzen auf weißen Kreisen. Ein echtes Nazi-Wunderland. Als Grublock mir nicht den kleinsten Hinweis darauf geben wollte, was Zroszak für ihn erledigen sollte, konnte ich deshalb sicher sein, dass der Detektiv auf der Spur von etwas wirklich Außergewöhnlichem war.
    Ich zog mich um und ging hinunter zu meinem Wagen. Wie üblich war das Happy Fried Chicken, über dem meine Wohnung liegt, randvoll mit versoffenen Gestalten – die Beliebtheit dieses Lokals hat mich immer verblüfft, bis ich herausfand, dass einer der Köche Cannabis verkauft. Die Nacht war kalt, und als ich zu Zroszaks Wohnblock in der Nähe des Kanals fuhr, hatte London etwas Unwirkliches wie eine geflüsterte Unterhaltung zwischen den Straßenlampen. Ich wollte Radio hören (es gibt da diesen
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