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Fleischmarkt

Fleischmarkt

Titel: Fleischmarkt
Autoren: Laurie Penny
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Schnürkorsetts mit Stahlstäben bis hin zu Genitalkapseln mit Stacheln, die junge Männer vom Masturbieren abhalten sollten. Unser befreites und freizügiges Zeitalter der spaßgeilen Handelserotik zwingt uns, das Korsett und die Stacheln zu verinnerlichen: zu hungern, zu leiden, Geld auszugeben, uns zu stylen, zu funktionieren und unseren Platz in einem Schauspiel einzunehmen, in dem aus dem sexuellen Mangel Kapital geschlagen wird, obwohl wir de facto in einer Zeit des erotischen Überflusses leben.
    Das Kribbeln und Schwitzen bei Echtzeit-Sex kann weder kontrolliert noch massenhaft produziert und an uns verkauft werden und bedroht somit sowohl das Kapital als auch die Zensur. Das Verhalten junger Menschen anzuprangern, während wir gleichzeitig mit brutalen, plastifizierten Porno-Visionen entfremdeter Sexualität bombardiert werden, lässt den Eindruck eines sexuellen Mangels entstehen, der beiden Zwecken dient. Aber wenn menschliche Geschöpfe etwas qua Geburtsrecht besitzen, dann ist es der Überfluss des Körperlichen, ein Überfluss an Schmutz, Sex und Erhabenheit … Nur indem wir uns diesen Überfluss zu eigen machen, können wir uns selbst befreien.
    Der erotisch verbrämte kapitalistische Abscheu vor dem menschlichen Fleisch und besonders vor dem weiblichen Fleisch ist eine Pathologie, der man widerstehen kann und muss. Wenn wir uns selbst von dieser schädlichen Angst vor dem Fleisch befreien wollen, müssen wir lernen, in ihm zu leben. Wir müssen uns weigern, in den beengenden Sarg des perfekten Funktionierens zu steigen, der für junge Frauen und immer mehr junge Männer bereit steht, und lernen, unsere eigenen Bedürfnisse zu spüren und zu befriedigen. Wenn wir jemals echte sexuelle Freiheit erreichen wollen, müssen wir tapfer genug sein, der mitleidlosen Logik der performativen erotischen Ironie zu widerstehen.
    Ein neuer, gleichgeschalteter Puritanismus ist auf dem Vormarsch, und was nun überall zensiert wird, ist genau das, was Baudrillard die »Heraufbeschwörung des Körpers« nennt. Der weibliche Körper in der westlichen Welt, der überall zur Schau gestellt wird, ist in Wirklichkeit marginalisiert und von der Kultur der monetarisierten Sexualität in Besitz genommen, die uns von unseren authentischen persönlichen und politischen Identitäten entfremdet.

Eine Bemerkung über Huren und Hurentum
    Wenn wir die heutige Unterdrückung der Frau in der westlichen Welt wirklich verstehen wollen, müssen wir begreifen, dass ihre Verdinglichung und ihr sexuelles Funktionieren Arbeitsleistungen sind. Der Verkauf von Sexualität ist echte Arbeit, die als gesellschaftlich angeordnete Maßnahme hilft, erotisches Kapital zu bilden. Von der Arbeitszeit, die für den Kauf und den strategischen Einsatz von Kleidung, Frisur und Schönheitsprodukten aufgewendet wird, über die tatsächliche Arbeit bei Diät und Fitness, bis zur Erschaffung und Erhaltung der sexuellen Rolle – die Selbstverdinglichung ist Arbeit, zuerst und vor allem. Weibliche Sexualität, die jeden Tag mehr zum Synonym für Verdinglichung wird, ist Arbeit. Und es ist unmöglich, über Sexualität als Arbeit zu sprechen, ohne über Sexarbeit als solche zu sprechen.
    An Ironie kaum zu überbieten in den Geschlechterinszenierungen der westlichen Welt ist nämlich die Tatsache, dass der Verkauf von Sex nach wie vor in einer dunklen Unterwelt des sozialen Tabus, der kriminellen Umtriebe und der Gewalt stattfindet, während der sexualisierte Verkauf allgegenwärtig ist. Man kann seine Sexualität und Arbeitskraft vermarkten, um sein erotisches Kapital am Arbeitsplatz zu vergrößern, aber Prostituierte – von denen der absolut größte Teil Frauen sind, die Männer bedienen – gehören nach wie vor zu den verletzlichsten und am stärksten marginalisierten Mitgliedern der Gesellschaft. Frauen, die auf dem kulturellen Fleischmarkt nicht konkurrieren können oder wollen und sich nicht als sexy verkaufen, haben mit sozialen Konsequenzen zu rechnen. Aber das Übelste, was einer Frau passieren kann, ist, Nutte genannt zu werden.
    Die zeitgenössische feministische Diskussion über Sexarbeit ist ein ganzer Ozean ungehörter Stimmen, privater Tragödien und Fehlinformationen, in dem moralischer Streit die echten Belange im Leben vieler verwundbarer Frauen verdunkelt. Die anhaltenden ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Feministinnen, Aktivistinnen für die Rechte der Sexarbeiterinnen und frauenfeindlichen Gesetzgebern haben den rechtlichen
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