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Fleischmarkt

Fleischmarkt

Titel: Fleischmarkt
Autoren: Laurie Penny
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in einem heiklen Stadium ihrer Pubertät befanden, wurden mit künstlichen Brüsten aus Toilettenpapier ausgestattet, wir malten uns mit Kuli falsche Sommersprossen über unsere echten Sommersprossen und bildeten, als der Tag gekommen war, mit unseren Lippen die Worte des Liedtextes, in dem ein unbestimmtes männliches Geschöpf angefleht wird, gelegentlich undefinierte Akte sexueller Gewalt auszuüben. Das Publikum tobte. Wir waren weder gut, noch hatten wir es so gezielt verhunzt, dass wir Punkte für eine wunderbare Persiflage verdient hatten. Vielmehr war es ein miserabel koordinierter Auftritt von jaulenden Teenagern, die sich bemühten, erotische Gebärden nachzuäffen. Das Ganze wurde verschlimmert durch die Anwesenheit von drei unverschämten Schauspielschülerinnen in der ersten Reihe, die Kaugummiblasen machten und ihre Schlüpfer zeigten. Wie Britney, die zu dieser Zeit das Ende ihrer Pubertät noch vor sich hatte, produzierten wir mit unserem Auftritt eine bizarre Anmache und spielten mit einer Art Plastikversion erwachsener Sexualität. Wir bekamen an dem Abend den größten Applaus.
    Und wir wurden disqualifiziert.
    Was unser Auftritt für die elterlichen Preisrichter allzu deutlich und unerträglich machte, war unser unschuldiges Bestreben, dieses vorgeprägte erotisch-sexuelle Verhalten nachzumachen. Wir hatten schon von früher Kindheit an gelernt, dass unsere körperlichen Wünsche nur der unbedeutende Teil unserer sexuellen Entwicklung sind. Viel wichtiger für junge Menschen ist die Bildung und Bewahrung von erotischem Kapital.
    Jugendliche Sexualität, wie sie von den älteren Generationen verstanden und vermarktet wird, ist auf einen ritualisierten Akt erotischer Anmache reduziert: eine erbitterte, unfrohe Pflicht, den richtigen Look zu kennen und das kokette Schmollen und gelegentliche teilnahmslose Rumvögeln draufzuhaben, das jeder junge Mensch praktizieren muss, der sozial – oder ökonomisch – nicht zurückbleiben will. Jugendliche werden nicht nur von der Porno- und Werbebranche in die Mangel genommen, die uns um jeden Preis sexualisieren will; vielmehr waren wir immer schon mehr als eine Zielgruppe. Was viele von uns deutlich wahrnehmen, ist, dass sexuelle Performanz und Selbstverdinglichung Formen von Arbeit sind: Aufgaben, die wir übernehmen und perfektionieren müssen, wenn wir vorwärtskommen wollen.
    Pornografie ist Bestandteil des erotischen Pflichtdiskurses, und jede Diskussion um die ›Pornifizierung‹ der zeitgenössischen Jugendkultur muss diesen Kontext berücksichtigen. Die Pornoindustrie setzt allein in Amerika 14 Milliarden Dollar um, und das pornografische Material, das im Internet für junge User frei verfügbar ist und explosionsartig zunimmt, liefert für die von den Konsumenten aufgeführte Maskerade einer paranoiden, ritualisierten, repetitiven Heterosexualität die Hintergrundmusik. Die Feministin Dr. Nina Power erläutert, dass »die frühen Ursprünge des Pornofilms eine ganz andere Geschichte der Repräsentation von Sex erzählen (…). Eine, die weniger von aufgespritzten, kahl rasierten Körpern bevölkert war, welche sich wechselseitig gefügig machen, als vielmehr eine Geschichte der Zärtlichkeit und Albernheit, mit Körpern, die nicht jederzeit funktionieren und schnurren wie gut geölte Maschinen.« 6
    Die Ausübung von Macht scheint normal: Wenn in der zeitgenössischen Pornografie überhaupt Gesichter zu sehen sind, so sehen sie nicht aus, als hätten sie viel Spaß.
    Die Allgegenwärtigkeit dieser auf öde Weise brutalen Interpretation von Pornografie kann für junge Menschen extrem verwirrend sein. Umgeben von der beschämenden Propaganda der älteren Generationen und ohne alternative Modelle für Sexualität aus Erziehung und Kultur, steht für viele von uns am Anfang unserer körperlichen Erfahrungen der Versuch, die Motive der Pornografie zu reproduzieren.
    Junge Männer ebenso wie junge Frauen sind diesem erotischen Modell, das sich unbarmherzig einschleift, völlig ausgeliefert. Ich kenne einen jungen Mann, der bei seinem ersten sexuellen Erlebnis mit einer Frau entsetzt feststellen musste, dass sie nicht von ihm erwartete, dass er vor dem Orgasmus seinen Penis rauszieht und ihr ins Gesicht spritzt. Die Pornos, die er gesehen hatte, hatten ihm vermittelt, dass alle Frauen das so wollten.
    Die vom Spätkapitalismus geprägten formalen Regeln der Pornografie sind der Dreh- und Angelpunkt der modernen sexuellen Gefühllosigkeit: eine endlose
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