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Fleischmarkt

Fleischmarkt

Titel: Fleischmarkt
Autoren: Laurie Penny
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mehr echten Sex, im Sinne von feucht und stöhnend, haben wollen, weil wir von erotisch aufgeladenen Bildern umgeben sind. Dies ist überhaupt nicht der Fall. Was uns umgibt, ist nicht Sex an sich, sondern die Illusion von Sex, eine Airbrush-Fantasie von Sexualität mit erzwungenem Spaßfaktor, die so steril wie umbarmherzig ist.
    Die Werbung umgibt uns mit Bildern, die sinnliches Vergnügen darstellen sollen: Von den Spots für Kräuteressenzen bis hin zur kultigen Kampagne zum 40. Geburtstag der Müsliriegel von Cadbury werden uns die Gesichter von weißen Frauen präsentiert, die Lust simulieren und sich mit leicht geöffneten Lippen und elegant geschlossenen Augen abwenden, als ob die orgasmische Wirkung des fraglichen Produktes X sie beschämen würde.
    Aber bei diesem Bild stimmt etwas nicht. Ein aktueller und sehr gelungener Akt von Gegenkultur im ursprünglichsten Sinne ist die Webseite
Beautiful Agony
, ein Gruppenprojekt, bei dem anonyme Teilnehmer kurze Videoaufnahmen ihrer Gesichter beim Orgasmus ins Netz stellen. Wenn man dem haarigen Motorradfreak aus Australien und den coolen Ladys mittleren Alters beim Knurren, Schnaufen und Grimassieren zusieht, was durchaus an brünstige Schimpansen erinnert, wird einem klar, wie groß die Lüge ist, die von der merkantilen Erotik am Leben erhalten wird. All diese Videoclips, von denen jeden Monat Hunderte ins Netz gestellt werden, haben eine Sache gemeinsam: Sie animieren den Betrachter in keinster Weise dazu, in den nächsten Laden zu eilen, um Schokolade zu kaufen.
    Jean Baudrillard weist in
La société de consommation
darauf hin, dass es von größter Bedeutung ist, »das Erotische als allgemeine Dimension des Tauschs in unseren Gesellschaften klar von der eigentlichen Sexualität zu unterscheiden. […] Im ›erotisierten‹ Körper ist die soziale Funktion des Tauschs vorrangig. […] Hier irren alle zeitgenössischen Zensoren (oder wollen sich irren): In der Werbung und in der Mode verweigert sich der nackte Körper (der Frau oder des Mannes) als Fleisch, als Geschlecht oder als Ziel des Begehrens, vielmehr werden fragmentierte Teile des Körpers in einem weitreichenden Prozess der Sublimation instrumentalisiert, sodass das Heraufbeschwören des Körpers zugleich seine Verbannung ist. […] So bewegt sich das Erotische immer auf der Ebene der Zeichen und niemals auf der des Begehrens… 5
    Die von Baudrillard beschriebenen ›fragmentierten Teile des Körpers‹ sind in der zu Werbezwecken genutzten Erotik Schlüsselelemente: körperlose Teile, besonders von Frauen, werden zu fetischisierten Symbolen einer Sexualität, zu der die Frauen selbst keinen Zugang haben. Shampoolauge läuft über nackte Körper im Weichzeichner, Dessous spannen über idiotisch überdehnten Leisten und überall, auf Buchdeckeln, Müslipackungen und Schachteln mit Damenbinden, symbolisieren rumpflose Beine in High Heels mit Stilettoabsätzen den wohldurchdachten, auf Frauen abzielenden Konsumimperativ, der danach drängt, genuin erotische Impulse zu ersetzen. Und wie ernst es damit ist, hat O’Brien in George Orwells
1984
beispielhaft vorgeführt, der schwört, dass die herrschende Elite den Orgasmus abschaffen will. Orwell paraphrasierend kann man sich die Zukunft des Feminismus auch vorstellen wie einen Stilettoabsatz, der auf ein Frauengesicht niederfährt.

Erotisches Kapital lernen
    Baudrillard unterscheidet zwischen erotischem Kapital und Sexualität an sich, und diese Unterscheidung muss bezüglich der zeitgenössischen sexuellen Verhaltensweisen als real verstanden werden. Junge Menschen, die mit dem Druck aufwachsen, in jedem Bereich ihres Lebens etwas zu leisten, finden sich in der Situation wieder, einer roboterhaften, kapitalistischen Erotik nachzueifern, die kaum etwas mit ihren eigenen legitimen Wünschen und Bedürfnissen zu tun hat.
    Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich als mürrische Vierzehnjährige genötigt wurde, mit anderen Mädchen meines Jahrgangs an einem Musical-Wettbewerb teilzunehmen, bei dem wir vor dem Rest der Schule eine eigene Version eines populären Musikvideos aufführten. Ziel der Aktion war, den ›Gemeinschaftssinn‹ zu stärken. Ich hatte für »No Feelings« von Offspring votiert, aber letztlich wurde entschieden, dass wir uns alle als ›Schulmädchen‹ kostümieren (natürlich nicht mit unseren echten Schuluniformen) und versuchen sollten, Britney Spears’ »Baby, One More Time« nachzumachen.
    Die Mädchen, die sich gerade
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