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Fleisch

Fleisch

Titel: Fleisch
Autoren: Alex Kava
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vielleicht hielt er es für wichtig. Maggie hatte nichts dagegen. Er hatte eine sanfte, beruhigende Art und eine volle, tiefe Stimme, die wahrscheinlich auch „Krieg und Frieden“ so vorlesen konnte, dass man gebannt jedem Wort folgte.
    Als sie einander begrüßt hatten, hatte er darauf bestanden, dass sie ihn Donny nannte. Sie hatte beinahe lachen müssen, denn unter Donny stellte sie sich eher einen Jungen vor. Sein massiges, wettergegerbtes Gesicht war das genaue Gegenteil. Sein Lächeln hatte zwar etwas Jungenhaftes, doch die Fältchen an seinen Augen und das grau melierte Haar ließen den erfahrenen Ermittler erkennen. Aber wenn er dann den Hut abnahm – wie er es jetzt tat, damit die Spitze seines Stetsons nicht an den Draht kam – und der Haarwirbel am Anfang seines perfekt gekämmten Seitenscheitels in die Höhe stand, dann sah er wieder aus wie ein kleiner Junge.
    „Die Rancher hassen das Feuer.“ Donny hielt inne, um den Pfosten genauer in Augenschein zu nehmen. Er senkte den Kopf und reckte den Hals. Mit den Händen stützte er sich auf den Knien auf, damit er nicht den Draht oder den Pfosten berührte. „Das mit der Verjüngung können sie nicht nachvollziehen. Aus ihrer Sicht ist es Zerstörung und Verschwendung von wertvollem Rohstoff.“
    Schließlich erhob er sich wieder, setzte den Hut auf und verkündete: „Alles in Ordnung. Er ist nicht geladen.“ Trotzdem tippte er mit der Fingerspitze an den Draht, als wäre es eine Herdplatte und als wolle er sichergehen, dass sie nicht mehr heiß war.
    Zufrieden griff er mit seinen großen Händen in den Stacheldrahtund zog zwei Stränge auseinander, damit Maggie hindurchklettern konnte.
    „Sie zuerst“, erwiderte sie.
    Es dauerte eine kleine Weile, bis aus dem Gentleman, der eine Dame begleitete, ein Polizeibeamter und Kollege wurde. Zunächst dachte sie, er hätte sie nicht verstanden. Doch schließlich verschwand der Protest aus seinem Gesicht. Er nickte und griff nach zwei höheren Strängen, um mit seinen langen Beinen besser hindurchsteigen zu können.
    Maggie sah genau zu, wie er seinen massigen Körper hindurchwand, ohne einen einzigen Stachel zu berühren. Dann kopierte sie seine Bewegungen und folgte ihm mit angehaltenem Atem. Als sich ein rasiermesserscharfer Dorn in ihrem Haar verfing, zuckte sie zusammen.
    Auf der anderen Seite des Zauns gingen sie weiter durch das kniehohe Präriegras. Die Sonne stand schon unterhalb des Horizonts und tauchte den Himmel in ein wunderbares rosa-violettes Licht, das in das tiefe Blau der Dämmerung überging. Maggie war versucht, stehen zu bleiben und das Schauspiel zu beobachten, aber das Gras schien dichter und höher zu werden, und der sandige Untergrund wurde immer unebener. Sie hatte jetzt schon Mühe, mit Donny Schritt zu halten.
    Er war ein Riese von einem Mann, mit einem starken Nacken und einer breiten Brust. Es kam Maggie vor, als trüge er eine kugelsichere Weste unter seinem Hemd, doch da war keine Weste, nur feste Muskeln. Er musste fast zwei Meter groß sein, nach ihrer Schätzung vielleicht sogar mehr, da er leicht gebeugt ging, die Schultern etwas nach vorne gestreckt, als stemme er sich gegen den Wind. Vielleicht fühlte er sich auch unwohl mit seiner Größe.
    Für einen seiner Schritte musste Maggie zwei machen. Sie schwitzte, obwohl es kühl geworden war. Die untergehende Sonne nahm rasch die Hitze des Tages mit sich, und Maggie wünschte sich, sie hätte ihre Jacke nicht in Donnys Pick-up gelassen. Das allmähliche Einsetzen der Dämmerung schienDonnys schnelle Gangart noch zu erhöhen.
    Wenigstens hatte sie bequeme, flache Schuhe angezogen. Immerhin war sie schon einmal in Nebraska gewesen, und sie hatte angenommen, sie wäre bestens vorbereitet, aber ihre anderen Besuche hatten sie ganz in den Osten in die Nähe von Omaha geführt, die einzige Großstadt des Bundesstaats, die sich über ein grünes Flusstal erstreckte. Hier, gut hundert Meilen vor der Grenze nach Colorado, sah die Landschaft völlig anders aus, als sie es erwartet hatte. Während der Fahrt von Scottsbluff hierher hatte es nur wenige Bäume gegeben und sogar noch weniger Ortschaften. Und die waren in kurzer Zeit wieder vorüber gewesen; kaum hatte man gebremst, konnte man schon wieder Gas geben.
    Donny hatte ihr erzählt, dass es hier mehr Rinder gab als
    Einwohner, und sie hatte es zunächst für einen Witz gehalten.
    „Sie waren noch nie hier draußen“, hatte er mehr festgestellt als gefragt. Er hatte ihre
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