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Flammenzungen

Flammenzungen

Titel: Flammenzungen
Autoren: Administrator
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Schutzlosigkeit. Was sie aber weitaus mehr schockiert hatte, war ihr eigenes Gesicht - tränenüberströmt, sabbernd und leidend.
    „Nein!“, krächzte sie, da ihre Stimme noch heiser war von den Schreien der letzten Nacht. „Ich kann nicht mehr.“
    Mühsam erhob sie sich von dem Betonboden, den er ge nauso schwarz angestrichen hatte wie die Decke. Wie sie diese erdrückenden Backsteinwände hasste! Sie raubten ihr die Luft zum Atmen.
    Sie musste ihre letzten Kraftreserven aufbringen, um auf den Metallring zu steigen, der einen halben Meter über dem Boden angebracht und an dem ihre Fußfessel fixiert war. Dann hielt sie sich an einem Haken weiter oben fest, an den er sie fesselte, wenn er sie ausgestreckt haben wollte.
    Ein seltsamer Nebel legte sich über ihre Sinne. Er wirkte  beruhigend. Alles wird gut werden, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, gleich ist die Marter vorbei. Lächelnd formte sie eine Schlaufe aus der Kette, die ihre Hände verband, und zog sie durch den obersten Ring. Ohne zu zögern, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und steckte den Kopf hindurch.
    Gleich bin ich erlöst, war ihr letzter Gedanke. Dann sprang sie.

 
1. KAPITEL

    August dieses Jahres
    New Orleans, Obdachlosenasyl
    Eigentlich hatte Amy im Hauptflügel des alten Backsteinge bäudes, das früher einmal eine Grundschule gewesen war, nichts zu suchen. Die Essensausgabe, ihr Arbeitsbereich, befand sich im ehemaligen Lehrerzimmer gleich neben dem Hinterausgang, der auf den Parkplatz führte. Doch das Geräusch der Dusche zog sie magisch an.
    Sie blieb im Korridor stehen, sah sich um und krallte ihre Hände in den Saum ihres weißen Kittels, ihrer Arbeitsuniform. Der Gang führte nach rechts zu den Schlafsälen der Obdachlosen, links ging es zu den Waschräumen. Niemand war zu sehen. Sie hörte nur das Rauschen des Wassers, das eine magnetische Wirkung auf sie ausübte.
    Langsam schlich sie näher, darauf bedacht, keinen Mucks von sich zu geben, damit der Mann, der gerade duschte, ja nicht mitbekam, dass sie versuchte, einen Blick auf seinen nackten Körper zu erhaschen. Lorcan, welch ein außergewöhnlicher Name. Welch ein seltsamer Kerl! Vor zwei Wochen war er das erste Mal hier aufgetaucht und hatte sie vom ersten Moment an fasziniert. Seine Frisur war heraus gewachsen und erweckte den Anschein, als hätte er sein Gesicht eigenhändig mithilfe eines Messers freigeschnitten. Ein Bart verdeckte seine untere Gesichtshälfte, aber seine Augen wirkten so jung und lebendig, manchmal sogar feurig. Unter diesen zerzausten hellbraunen Haaren musste sich ein schö nes Gesicht verbergen, da war sich Amy sicher. Seine kräftigen Arme und der breite Rücken ließen erahnen, dass unter der schmutzigen Kleidung ein paar ansehnliche Muskeln  steckten. Den Beweis dafür würde sie gleich bekommen.
    Ihr Herz pochte immer aufgeregter. Leise ging sie vorwärts. Schritt für Schritt kam sie näher. Das Plätschern klang immer lauter.
    Plötzlich hörte es auf. Im nächsten Moment stand auch schon Lorcan vor ihr. Nackt. Und alles, was sie denken konnte, war: Sein Hintern ist ja genauso braun gebrannt wie seine Unterarme. Wie war das möglich?
    Er versuchte erst gar nicht, seinen Schritt mit der Hand zu bedecken. Lässig verschränkte er die Arme, als wäre es völlig normal, entkleidet vor einer Fremden zu stehen. „Ich habe vergessen,' mir ein Badetuch aus der Kleiderkammer zu holen.“
    Amy befahl ihren Füßen, sie aus dieser peinlichen Situation zu retten, doch sie gehorchten ihr nicht. Verlegen wollte sie sich wegdrehen, schließlich war es unhöflich, so zu starren, doch sie konnte nicht anders, als seinen durchtrainierten Körper ausgiebig zu betrachten. Während sie seinen Schaft musterte, zuckte dieser. Amy schnappte nach Luft. Die un erwartete Reaktion riss sie aus ihrer Lähmung. „Einen Moment, ich hole dir eins.“
    Abrupt wandte sie sich ab, hastete den Korridor zurück und lief in den Raum, in dem sie Hosen, Oberteile, Schuhe und Hygieneartikel, allesamt Spenden von Privatpersonen oder Firmen aus New Orleans, an Bedürftige ausgaben. Sie griff ein Frotteetuch aus einem der Regale, drehte sich um und wollte zu ihm zurückgehen. Doch da stand Lorcan schon direkt hinter ihr.
    Stumm nahm er es ihr ab. Während er sich abtrocknete, schaute er Amy provozierend an. Fasziniert stellte sie fest, dass seine Brustmuskulatur bei jeder Bewegung hüpfte. Er stellte einen Fuß auf einen Hocker, wodurch die Sehnen   an seinen Beinen
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