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Flammender Diamant

Titel: Flammender Diamant
Autoren: Ann Maxwell
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gleich an einem neuen Motiv. Während sie zum zweiten Mal die Einstellung veränderte, fluchte sie leise, wobei sich ihr Atem in ein silbriges Eiswölkchen verwandelte. Sie war ungeduldig. Es blieb nur wenig Zeit für die Aufnahme, die sie sich vorstellte. Im Augenblick stand der Mond genau im richtigen Winkel, um drei der Flußbiegungen zu beleuchten, deren Windungen sich am Relief der Berge zu wiederholen schienen.
    Aber die Welt drehte sich weiter, und der Wind schob die Wolken zu einer geschlossenen Front zusammen. Jeder Augenblick veränderte unwiederbringlich das wichtigste Element am ganzen Bild - das Licht.
    Erins Uhr piepste warnend. Sie kümmerte sich nicht darum. Es war nur der erste Warnton, den sie programmiert hatte. Das machte sie oft so, denn wenn sie fotografierte, vergaß sie völlig die Wirklichkeit. Ihre Fähigkeit sich zu konzentrieren war eine zweischneidige Angelegenheit, die es ihr schwer machte, mit einer Zivilisation zurechtzukommen, wo Zeit in immer präzisere Abschnitte unterteilt wurde.
    »Los jetzt, Hände, verflucht«, murmelte Erin, während ihre gefühllos kalten Finger zu langsam die Schalter der Kamera bedienten.
    Die Uhr piepste noch einmal.
    Während Erin das Geräusch abstellte, begann ein Teil ihres Gehirns sich widerstrebend damit abzufinden, daß es noch eine Welt außerhalb ihrer Fotografie gab und daß sie in dieser Welt rechtzeitig am Flughafen sein mußte, um ein Flugzeug zurück in die Zivilisation zu nehmen. Die Zivilisation, der sie jetzt schon seit sieben Jahren aus dem Weg ging. So wie die Ufervögel in der Tundra und die Wale, die sie von Lederbooten aus fotografiert hatte, war Erin auf dem Weg nach Süden. Doch anders als die Tiere kehrte sie zurück in eine Zeit, die in Tage, Stunden, Minuten und Sekunden eingeteilt war.
    Sie drückte auf den Auslöser, spannte den Film erneut, drückte wieder ab, stellte die Kamera neu ein und hörte zu, wie die Blende sorgfältig kleine Zeitabschnitte bemaß, die über Uhren und Herzschläge hinausgingen.
    Versunken, geduldig, schaudernd vor Kälte, die sie nicht spürte, arbeitete Erin, hingerissen von den schwarzsilbernen Kontrasten der Landschaft, die sie liebte, von der sie sich mit diesen Fotos verabschiedete. Die Arktis besaß etwas Mythisches, das sie auf den ersten Blick angezogen hatte, etwas, das sich in der Lebensweise der Eskimos und der Jäger äußerte, die ihr begegnet waren und unter denen sie gelebt hatte.
    Sie war auf der Waljagd mit Männern in Lederbooten durch sich verändernde Rinnen im Packeis gefahren. Draußen in den zerbrechlichen Booten hatte sie erfahren, daß die einfachen Menschen ihre Beute fürchteten, liebten und verehrten. Der moderne Mensch tötete einfach nur mit hochtechnisierten Waffen, wobei er für sich selbst nichts riskierte und darum über sich und seine Beute, über Leben und Tod nichts lernte. Erin hatte auch solche Menschen gekannt, moderne Menschen. Doch sie zog die unpersönliche Frostigkeit der Arktis vor.
    Ihre Uhr piepste nun häufiger, bis sie einen Dauerton erklingen ließ, der Erin an die Dringlichkeit des Telegramms erinnerte, das ihr am Morgen über Kurzwellenradio vorgelesen worden war: KOMMEN SIE SOFORT ZURÜCK STOP DRINGENDE FAMILIENSACHE STOP GENAUERE ANWEISUNGEN FOLGEN STOP JAMES ROSEN ESQ.
    »Sei ruhig«, murmelte sie. »Mensch... sei... still!«
    Sie stieß mit taubem Zeigefinger kräftig nach dem Knopf an der Uhr und brachte sie zum Schweigen. Aber sie wußte, daß es zu spät war. Ihre Konzentration war unterbrochen, weil sie James Rosen Esquire nicht so leicht beruhigen können würde wie ihre Uhr.
    KOMMEN SIE SOFORT ZURÜCK STOP
    Erin verdrängte die Aufforderung. Sie hatte sich seit sieben Jahren nicht um die Zivilisation gekümmert. Noch sieben Minuten mehr würden keinen Unterschied machen.
    Sie hätte den Ruf auch endgültig ignoriert, wenn ihr nicht klar gewesen wäre, daß ihre Zeit in der Arktis sich ohnehin dem Ende näherte. Sie hatte noch nicht alle denkbaren Fotos gemacht, aber alle Fotos, die sie für sich brauchte. Die Umstände, die sie vor sieben Jahren in die Wildnis vertrieben hatten, waren nicht mehr dieselben. Auch sie war nicht mehr dieselbe wie damals. Die Antworten, die ihr Alaska geben konnte, paßten nicht mehr zu den Fragen, die sie sich stellte.
    Jeffrey wird durchdrehen, dachte sie, und wünschte, der Gedanke wäre tröstlicher. Jeffrey Fisher, ihr Verleger in New York, hatte nicht verstanden, warum sie einen Teil ihres Lebens in der
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