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Flammen über Arcadion

Flammen über Arcadion

Titel: Flammen über Arcadion
Autoren: B Perplies
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Ordensgardisten des Lux Dei. »Die Banden der Sizilier im Süden und die Truppen des Mondkaisers im Norden«, erklärte er mit glühendem Eifer. »Außerdem fahren Piraten aus Spaniar vor unseren Küsten. Und es heißt, dass der Ketzerkönig von Austrogermania Spione in unser Land geschickt hat, um uns vom wahren Glauben abzubringen.«
    »Bravo, Antonjas.« Die Lehrerin bedeutete dem Jungen mit einem Nicken, sich wieder zu setzen. »Möchte noch jemand etwas hinzufügen? Eine Bedrohung habt ihr noch vergessen.«
    In der vorletzten Reihe meldete sich Marlo, ein schmächtiger Junge, der nicht besonders klug war und sich durch unbedachte Bemerkungen immer wieder den Spott der Klasse einhandelte. »Die Mutanten draußen in der Wildnis«, sagte er, nachdem er sich erhoben hatte.
    Die halbe Klasse brach in Gelächter aus.
    Natürlich war Marlos Antwort Unsinn. Die Mutanten waren Schreckgespenster, die weit jenseits der Mauern von Arcadion in den Todeszonen hausten. Man erzählte sich grausige Geschichten über sie, wie sie einsame Wanderer verschleppten und ihnen furchtbare Dinge antaten. Doch die Mutanten lebten wie Tiere und waren ungefähr genauso scheu. Kaum ein Bürger der Stadt hatte sie jemals zu Gesicht bekommen. Eine Gefahr für Arcadion stellten sie jedenfalls nicht dar.
    Trotzdem lachte Carya nicht. Mit ihren sechzehneinhalb Jahren gehörte sie zu den Jüngsten der Klasse, und sie war eins von nur vier Mädchen. Dazu kam, dass Miraela, die unter ihnen den Ton angab, Carya um ihr wundervolles dunkelbraunes Haar beneidete, das ihr, wenn sie es zu Hause in ihrem Zimmer offen trug, bis weit den Rücken hinunterreichte. Aus all diesen Gründen stand Carya in der Hackordnung nicht weit über Marlo. Deshalb hatte sie Mitleid mit ihm, auch wenn er Unsinn redete.
    »Still!«, befahl Signora Bacchettona in scharfem Tonfall, und das Lachen erstarb so plötzlich, wie es aufgekommen war. »Nein, Marlo, die Mutanten meinte ich nicht. Ich sprach von … «
    Zwei Plätze neben Carya hob Miraela gemächlich die Hand. Auf der Miene des Mädchens lag milde Verachtung. Carya war sich nicht sicher, ob diese der Unwissenheit ihrer Klasse im Ganzen oder Marlos Dummheit im Speziellen galt. Letzten Endes lief es auf das Gleiche hinaus. Miraela hielt sich für etwas Besseres, für eine Auserwählte. Laut eigenem Bekunden hatte sie vor drei Jahren, mit vierzehn, das Sanktuarium im Dom des Lichts besuchen dürfen und dort eine Vision erlebt. Kurz darauf hatte sie sich die Haare zu einem unnatürlichen Weißblond aufgehellt – angeblich, um dem Engel näher zu sein, der ihr erschienen war.
    Jedes andere Mädchen wäre von Carya wegen dieser Erfahrung womöglich bewundert worden. In Miraelas Fall hielt sie die Geschichte für reine Aufschneiderei.
    »Bitte, Miraela.« Die Lehrerin machte eine auffordernde Geste.
    »Sie meinten die Künstlichen, Signora Bacchettona«, sagte das Mädchen mit deutlicher Abscheu in der Stimme.
    Die Lehrerin nickte. »Die Invitros, ganz richtig. Sehr gut, Miraela. Setzen.« Signora Bacchettona begann vor dem Pult auf und ab zu gehen. Die Absätze ihrer schwarzen Schuhe knallten auf die grauen Steinfliesen des Unterrichtsraums. Ihr raubvogelartiger Blick schweifte über die Klasse. »Es mag sein, dass die Nächstenliebe unserer Beschützer vom Lux Dei es ihnen verbietet, in dieser Hinsicht die offenen Worte zu finden, die angebracht wären. Doch wir alle wissen es auch so: Die Invitros sind eine Plage für unsere Gesellschaft. Ihre bloße Existenz ist ein Vergehen gegen den Willen Gottes und das Wunder seiner Schöpfung. In ihrer Verblendung glaubten die Menschen von damals, dass sie das Recht hätten, selbst zu Göttern zu werden. In Laboren, in Tanks, züchteten sie Leben nach ihrem Abbild und ihrem Wunsch. Ihre Motive waren dabei gleichermaßen schändlich und blasphemisch. Welche Motive hatten sie? Marlo?«
    »Äh … « Der schmächtige Junge schnellte in die Höhe und blinzelte hektisch. »Sie … sie wollten eine Sklavenrasse schaffen?«
    »Mehr oder weniger richtig«, urteilte Signora Bacchettona. »Erst war es die Neugierde, die jene Forscher antrieb. Dann bot man menschlichen Paaren, deren liederlicher Lebensstil ihnen die Frucht des eigenen Leibes verwehrte, Invitro-Kinder als Ersatz an. An diesem Tag nahm der Sündenfall seinen Lauf. Unternehmen schufen sich billige Arbeitskräfte, verdorbene Regimes züchteten sich Soldaten. Die in der Petrischale gezeugte Brut unterwanderte unsere ganze
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