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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig
Autoren: Wildis Streng
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von hier, weg aus Goldbach. Noch einmal läutete es, und sie setzte Viktoria auf dem Teppich ab und ging zur Tür. Schemenhaft erkannte sie zwei Frauen, was sie verwunderte, denn eher hätte sie noch einen Anlauf von Sackler erwartet. Sie öffnete und stand vor zwei Frauen um die 30 aus dem Dorf, die sie vom Sehen kannte, von denen sie aber nicht wusste, wie sie hießen. Die beiden wirkten gleichzeitig peinlich berührt und entschlossen, was eine etwas seltsame Mischung ergab. Die Blonde hielt einen Kuchen in den Händen, die Brünette einen Stapel Papier. »Wir sind die Simone und die Gaby«, stellte sich die Brünette vor. Irina nickte und versuchte ein Lächeln. »Irina«, sagte sie, und ihre Stimme klang fremd. »Wir Goldbacher finden das mit den Zetteln nicht okay, und haben eine Unterschriftenliste gemacht«, fuhr Gaby fort und hielt Irina den Stapel hin. Die nahm ihn mit langsamen, zeitlupenhaften Bewegungen, studierte ihn, blätterte durch, konnte es nicht fassen. ›Wir distanzieren uns von der Hetzkampagne gegen Irina Siegler. Wir verurteilen niemanden, bevor seine Schuld nicht bewiesen ist‹, stand da in Rot, und darunter hatten Menschen unterschrieben, Hunderte, es mussten Tausende sein. Irina blätterte immer wieder mit fahrigen Fingern, von vorne nach hinten, sie konnte es nicht fassen. Tränen traten in ihre Augen, sie konnte ein Schluchzen nur mühsam unterdrücken, und sie wusste nicht, was es war, Erleichterung, Glück, jedenfalls fiel alle Anspannung von ihr ab. Simone hob eine Hand und legte sie Irina auf die Schulter. »Dürfen wir reinkommen? Wir haben Kuchen dabei.« Und dann lachte Irina, lachte und weinte gleichzeitig, und sie war glücklich, zum ersten Mal seit langer, langer Zeit.

Samstag, 23. August 2014
    Es war heiß, und nicht nur schwülheiß, sondern richtig heiß. Der August gab alles, er gab, was er noch hatte, was noch in ihm war an brütender, sengender Hitze. Ein guter Tag zum Heumachen, auch, wenn es knapp werden würde, sie würden sich beeilen müssen, denn dass diese Hitze nicht ewig anhalten würde, war abzusehen. In wenigen Stunden würden sich am Horizont Wolken zusammenballen, der Himmel sich zuziehen und ein gewaltiger Cumulonimbus würde sich heranschieben, näher und näher, endlich den Himmel schwärzlich verdunkeln, dann würde es krachen, und dann würde sich eines der typischen Gewitter über die Landschaft ergießen. Und das wäre der Ruin für das Heu, das schon seit mehreren Tagen in der Sonne trocknete und das sie gerade einfuhren. Lisa fasste das getrocknete, wohlduftende Gras mit dem Rechen zusammen, während Heiko die Heugabel dazu benutzte, das Heu in die Maschine zu geben, die daraus mit einigem Geratter kompakte Ballen presste. Und bei all dem flog Heustaub auf, der in der Sonne fast golden glitzerte. Die Luft flirrte, der Himmel war strahlend blau und bildete einen geradezu überwältigenden Kontrast zum matten Gelbgrün des Heus. Nun, streng genommen handelte es sich auch gar nicht um Heu, sondern vielmehr um ›Öhmd‹, in Hohenlohe ›Ohmad‹ genannt. ›Ohmad‹ hieß der zweite Grasschnitt des Jahres. Da das aber für Lisa absolut unaussprechlich war, redete sie vehement vom ›Heu‹. Sieger und Heikos Eltern arbeiteten an einer anderen Ecke der Wiese, aber nun rief Sieger Heiko über den Lärm der Maschine hinweg zu, sie sollten doch mal eine kurze Pause machen. Das hielten sowohl Lisa als auch Heiko für eine gute Idee, und so saßen sie wenige Minuten später auf einer Decke unter dem kleinen Walnussbaum am Rande des Grundstücks im Schatten und tranken kalte Cola aus der Kühlbox. Schließlich legten sie sich auf den Rücken, um für kurze Zeit einfach in den Himmel hinaufzusehen, nichts zu tun und ihren Gedanken nachzuhängen. Endlich brach Lisa die Stille.
    »Jetzt haben wir also den Mörder gekriegt.«
    »Hm.«
    »Tut er dir leid?«
    Heiko schloss die Augen, um sie erst Sekunden später wieder zu öffnen. »Naja, eine tragische Figur ist er ja schon. Und schade ist es um den Siegler bestimmt nicht.«
    »Heiko!«, entrüstete sich Lisa, gab ihm aber innerlich irgendwie recht. »Was wohl Irina jetzt machen wird?«, fragte sie dann.
    »Hoffentlich wird sie glücklich«, wünschte Heiko. Wieder sahen die beiden in den Himmel hinauf. »Und du, Lisa?«, fragte Heiko weiter.
    »Hm?«
    »Bist du glücklich?«
    Lisa setzte sich auf und sah ihrem Freund direkt ins Gesicht. In seinen braunen Augen stand eine Ernsthaftigkeit, die sie sonst so nicht
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