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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig
Autoren: Wildis Streng
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er brauchte, er war kurz davor, einfach umzufallen. Aber das Adrenalin hielt ihn aufrecht. Jetzt oder nie – offenbar waren sie ihm auf die Schliche gekommen, das hatte er gleich gewusst, als sich die beiden so angepirscht hatten. Er hatte sowieso nichts mehr zu verlieren, es war ja alles hin, Frau, Job, seine Freiheit war das Einzige, was ihm noch blieb, und dafür würde er kämpfen, bis zum letzten Atemzug. Er schubste einen Halbwüchsigen beiseite, hinter sich hörte er die beständigen Rufe des Polizisten, die die Leute aber Gott sei Dank unbeeindruckt ließen. Er würde es schaffen, er würde entkommen und dann, dann … Er drehte den Kopf zurück, hatte den Fuß der Treppe erreicht, japste, schnaufte, pumpte. Und dann ging das Licht aus.

    Heiko beugte sich über den Verdächtigen und schüttelte dem kleinen Schwaben anschließend anerkennend die Hand. »Dem hasch zeicht, wo dr Bartl da Mouschd hollt!« Simon grinste und nahm das als Kompliment. »Danke«, meinte er. »Gut, dass ich grad da war, gell?« Heiko nickte. Das war tatsächlich ein großes Glück gewesen. Obwohl ihm Uwe lieber gewesen wäre. Aber Simon hatte dem Mann erfolgreich das Licht ausgeblasen. Mit einem 1-A-Batscher. Hätte Heiko ihm gar nicht zugetraut. An seinem Arm hing immer noch Regina, mit glühenden Wangen und unendlich stolz auf ihren heldenhaften Verlobten. In Ermangelung von Handschellen drehte Heiko Holderberg den Arm auf den Rücken und zog ihn hoch, sodass der Mann schmerzhaft das Gesicht verzog. »Das war’s, Herr Holderberg.« Holderberg blinzelte und schien eine Weile zu brauchen, bis er wieder vollständig bei Bewusstsein war. Dann realisierte er die Situation, und den ganzen Weg zum Rotkreuzzentrum, wo Heiko ihn ›zwischenlagerte‹, verbrachte er damit, gierig die kühle Nachtluft einzuatmen und umherzublicken. Er schien alle Eindrücke aufzusaugen wie ein Schwamm, es war, als würde er sie in seinem Hirn speichern wollen, als Erinnerung an sein geliebtes Lichterfest.

    Nachdem die diensthabenden Kollegen den finster dreinblickenden Holderberg abgeholt hatten, ging Heiko sofort zur Station des Roten Kreuzes, um nach Lisa zu sehen. Mit klopfendem Herzen betrat er das Gebäude und sah sie gleich im ersten Raum sitzen. Eine junge Frau im roten Kittel strich soeben eine Salbe auf ihre Hände. Heiko ging mit großen Schritten auf seine Lisa zu und fragte: »Wie geht’s?« Lisa hob den Kopf und lächelte. Der Schock war ihr immer noch anzusehen, trotzdem: Es war überstanden. »Mach dir keine Sorgen. Habt ihr ihn?«
    Heiko nickte. »Der Simon hat ihn erwischt.« Lisa zog fragend die Augenbrauen zusammen. »Simon? Wieso denn Simon?«
    »Der war grad zufällig da. Und hat dem Kerl eine reingehauen.«
    Lisa verkniff sich ein Grinsen. »Da hat er aber einen schönen Erfolg zu verzeichnen. Er hat einen Mörder dingfest gemacht.«
    Heiko nickte. »Ja, nicht?«
    »Da ist die Regina wohl sehr stolz auf ihn?« Lisa zwinkerte ihrem Freund zu. Der antwortete mit todernster Miene: »Ziemlich, ja.« Heikos Blick fiel auf Lisas Hände, die leicht gerötet waren und von der Salbe speckig glänzten. »Und jetzt? Willst du nach Hause?« Lisa schüttelte den Kopf. »Nach dem Schock könnte ich noch was zu trinken vertragen. Außerdem ist doch Lichterfest. Da geht man nicht um zehn nach Hause. Stimmt’s?«
    »Auf keinen Fall«, stimmte Heiko zu.

    Und so verbrachten Lisa, Heiko, Regina und Simon den Rest des Abends auf dem Festplatz vor dem Zelt, wo bunte Glühbirnen die Szenerie erhellten und man die beiden einzigen Fahrgeschäfte – eine uralte, wunderschön bemalte Schiffschaukel und ein kleines Kettenkarussell – im Blick hatte. Und wieder einmal merkten sie, wie schön Hohenlohe im Sommer sein konnte, mit gebrannten Mandeln vom einzigen Süßigkeitenstand, lauer Luft, Grillenzirpen und dem Goldbacher Lichterfest.

Montag, 18. August 2014
    An Irina Sieglers Tür läutete es. Ja, es war jetzt ihre Tür, denn jetzt, wo Holderberg gestanden hatte, war sie ganz offiziell vom Vorwurf des Mordes reingewaschen. Die alte Hexe hatte es nicht geschafft, sich bei ihr zu melden, aber das erwartete sie auch nicht. Sie wollte nichts mehr mit der Frau zu tun haben, ebenso wenig wie mit Sackler, der seit Tagen mit todtraurigen Hundeblicken seine Auffahrt hinauf- und hinunterschlich. Vielleicht würde sie das Haus verkaufen und gleich fortziehen, vielleicht studieren, Lehrerin werden, wenn die Kleine aus dem Gröbsten heraus wäre. Auf jeden Fall weg
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