Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
Vom Netzwerk:
es vor dem Spiegel zurecht.
    Â»Es kann länger dauern, esst bitte ohne mich«, sagte er und begutachtete sich prüfend.
    Anna wartete, bis er das Kontor verlassen hatte. Sie überlegte, dann stellte sie den Teller mit den Glassplittern auf seinen Schreibtisch. Ein verführerischer Duft stieg von ihm auf. Sie zauderte. Ihre Hände zitterten, als sie die zwei größten Scherben in das Tuch wickelte, mit dem sie den Fußboden getrocknet hatte. Fast kam sie sich wie ein Dieb vor. Noch einmal roch sie die feine Blume, dann ließ sie das Päckchen in eine der Poschen unter ihren Röcken verschwinden. Sie rief den Papagei herbei, der, beleidigt, dass man ihn nicht gebührend beachtet hatte, auf dem Bücherschrank hin- und herstolzierte. Jetzt flog er bereitwillig in die große Voliere am Fenster zurück.
    Anna sah Herrn Dalmonte auf die Straße treten – und da bemerkte sie ihn wieder, den klapperdünnen Fremden. Er beobachtete den Spediteur, wie der den Filzengraben überquerte und gegenüber in das Gässchen Auf Rheinberg einbog. Kaum war er außer Sicht, folgte er ihm. Anna schlug das Herz bis zum Hals.

ZWEI
    Kalter Wind fuhr Giacomo ins Gesicht, als er die Rheingassenpforte passierte und den Thurnmarkt erreichte. Täuschte er sich oder folgten ihm die Blicke der Torwächter? Er sah sie miteinander tuscheln, einer lachte. Giacomo schoss das Blut in den Kopf, er zog seinen zerschlissenen Hut tief ins Gesicht und beschleunigte seine Schritte. Der Herr, der sehr viel rascher ging als er, war ihm weit voraus und bog kurz darauf in eine Seitenstraße, die weg vom Rhein führte. Giacomo verlor ihn aus den Augen.
    Unschlüssig blieb er stehen. Er war sich sicher, dass dieser Mann im teuren Rock und mit den blitzenden Schnallenschuhen Paolo Luciano Dalmonte gewesen war. Er hatte auf seiner langen Wanderschaft durch das Rheinland oft von ihm reden gehört, von diesem Landsmann, den es wie ihn aus dem engen Vigezzotal in den Alpen nach Köln verschlagen hatte. Er betreibe einen gut gehenden Speditionshandel und sei nicht unvermögend. Aber er sei beileibe nicht der einzige Vigezzino in Köln. Da gebe es auch einen Farina aus dem heimatlichen Santa Maria, auch der ein Spediteur und Kommissionär, der darüber hinaus mit Französisch Kram handle. Und Giovanni Paolo Feminis aus Crana, Destillateur und Hersteller eines wundersamen Heilwassers, das sich gut verkaufe. Ein Mann, den der Pfarrer zu Hause stets in seine Gebete mit eingeschlossen hatte, damit er nie aufhören möge, Geld für die Kirche seines Geburtsorts, für die Armen und den Lehrer zu senden. Giacomo und seine Familie hatten allerdings nie etwas davon abbekommen. Ihm wurde übel.
    Vor knapp einer Woche war er auf einem Oberländer in Köln eingetroffen. Zwei Tage lang waren sie damit beschäftigt gewesen, die Ladung Tuffsteine und Basalt zu löschen. Danach hatte der Schiffer nichts Besseres zu tun gehabt, als ihm mitzuteilen, dass er ihn für die Fahrt zurück nach Mainz nicht mehr benötige. Der andere Knecht grinste hämisch, als er seine wenigen Habseligkeiten zusammenschnürte und das Schiff verließ. Vom Ufer schaute er noch einmal zurück. Zwei kräftige Mannsleute, ihre Reisebündel über den Schultern, wurden gerade mit großem Hallo an Bord begrüßt. Sie waren ihm eben noch auf den schwankenden Holzstegen, die die festgemachten Schiffe mit dem Ufer verbanden, entgegengekommen. Giacomo biss sich auf die Lippen. So war es immer. Immer waren es zuerst die Fremden, die Welschen , die italienischen Wanderarbeiter, die geschasst wurden, wenn der Meister Leute loshaben oder jemandem gefällig sein wollte. Da stand er am letzten Montag und wusste nicht, wohin. Die Nacht verbrachte er im Schutz einer dunklen Kirchenmauer.
    Sein erster Weg am nächsten Morgen ging zu eben jenem Feminis in Unter golden Wagen. Aber er wurde enttäuscht. Der Mann sei vor vier Monaten gestorben, hatte ihm die Alte von gegenüber gesagt.
    Â»Er war ja auch schon in den Siebzigern.«
    Â»Und das Geschäft?«
    Statt einer Antwort hatte sie nur mit der Schulter gezuckt und ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Nicht einmal nach Dalmonte oder Farina konnte er sie mehr fragen. Unschlüssig ließ er sich durch die Straßen treiben, wich Karren aus, Sackträgern und Waschfrauen, zählte die Kirchen und Klöster hinter den hohen Mauern, bis es ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher