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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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wenig, aber die Leute unter den Torbögen waren weitergegangen. Auch der lange Dürre war verschwunden.
    Anna fand den Spediteur im Kontor auf der Galerie. Das Mädchen klopfte und blieb an der Tür stehen, bis er sie heranwinkte.
    Â»Gut, dass du kommst. De Ridder will morgen früh um acht ablegen. Kümmere dich um die Fracht und die Zollpapiere. Und dass mir die Träger pünktlich sind! Wenn Melchior Pütz noch einmal betrunken hier auftaucht, hat er das letzte Mal für mich gearbeitet. Ich schwör’s bei der Heiligen Madonna von Re.«
    Wie zur Bestätigung krächzte der Papagei, der auf Dalmontes Schulter saß. Aufgebracht stieß er einen Schwall unverständlicher Töne aus. Ägyptisch sei das, hatte der Vogelhändler dem Spediteur versichert, als er ihm das Tier vor vielen Jahren aufschwatzte, ein Beweis für seine außerordentliche Klugheit! In weniger als zwei Monaten würde es seine, Dalmontes, Sprache sprechen. Der Lombarde hatte sich überreden lassen, weniger wegen der überragenden Intelligenz des Papageis als wegen dessen Augen, die ihn treu und ergeben anschauten. Und er wurde nicht enttäuscht – der Vogel liebte den alten Mann, kletterte, wenn dieser ihn aus dem Käfig holte, unermüdlich auf seinen Schultern herum, kroch ihm fast in den Kragen seines Hausrocks, knabberte zärtlich an seinem rechten Ohr und zog ihm die wenigen, noch verbliebenen grauen Haare lang, die unter der Hauskappe hervorguckten. Nur Italienisch lernte er nie und Deutsch auch nicht.
    Â»Ich muss fort. Zu Laurenz Bianco.«
    Dalmonte zeigte auf einen Brief in seiner Hand. Für einen Augenblick sah es so aus, als ob er ihn Anna vorlesen wollte. Doch er besann sich, schubste den schimpfenden Papagei von seinem angestammten Platz und stand auf. Sein Gesicht war ernst, und Anna wusste, dass wieder etwas passiert war.
    Vor ein paar Wochen fehlte ein Weinfass. Die Schröder hatten es in das kleine Lager im Keller getragen, wo Anna es ordnungsgemäß ins Warenbuch aufgenommen hatte. Aber am nächsten Tag war es spurlos verschwunden. Und mit ihm ein Glasballon Spiritus. Irgendjemand musste vergessen haben, die Türen abzuschließen. Wenig später suchten sie im Haus vergeblich nach zwei Kistchen mit mehreren Dutzend Flaschen Aqua mirabilis, die ein Amsterdamer Kunde bei dem Kölner Kaufmann und Parfumeur Johann Paul Feminis bestellt hatte, möglicherweise nicht wissend, dass dieser gerade vor Kurzem verstorben war. Allerdings verfügten die Witwe und seine Tochter Johanna Catharina, die das Geschäft im Haus Neuenburg in der Straße Unter golden Wagen Ecke Minoritenstraße weiterführten, über Restbestände des gefragten Heilwassers. Eine Weile noch würden Kunden über Dalmonte weiter beliefert werden können.
    Die Spedition im Filzengraben war nicht als Einzige Opfer lichtscheuen Gesindels geworden. Auffällig oft hatte es in den letzten Wochen Einbrüche und Überfälle auf Lastenträger und Lieferwagen gegeben. Überall waren die Diebe aufgetaucht. Schnell und geschickt gingen sie vor. Ehe man sich umschaute, waren sie schon wieder weg. Niemand konnte sie beschreiben. Neben alkoholischen Getränken aller Art schienen die Lumpen es hauptsächlich auf Spezereien und ätherische Öle abgesehen zu haben, was die gesamte Kaufmannschaft als ausgesprochen befremdend empfand. Teure Stoffe, Gold- und Silberwaren, Gläser, Spiegel, das alles hätte Sinn gemacht. Aber ätherische Öle? Und dazu Südfrüchte, Weingeist, Lavendel- und Portugalwasser .
    Anfänglich schien Dalmonte wegen dieser Ereignisse nicht sonderlich beunruhigt zu sein. Im Speditions- und Kommissionshandel sei man vor derartigen Verlusten nie ganz gefeit, sagte er. Aber seit die Diebstähle überhand nahmen, häuften sich die Beschwerden. Der Lombarde hatte Entgegenkommen gezeigt. Er bot den betroffenen Kunden Entschädigung an und ging zum Tagesgeschäft über. Aber niemand, weder Dalmontes Frau Gertrude noch Anna und die Dienerschaft nahmen ihm seine zur Schau gestellte Gelassenheit ab.
    Der alte Herr griff nach seiner Perücke, die unordentlich über der Rückenlehne hing. Das teure Stück!, dachte Anna entsetzt. Herr Dalmonte musste wirklich mit seinen Gedanken ganz woanders sein. Gut, dass Frau Gertrude das nicht gesehen hatte.
    Ein wenig umständlich setzte der Spediteur sich das Haarteil auf und rückte
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