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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser
Autoren: Paul Lascaux
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und die ungestüme Abfahrt diverser Fahrzeuge, die aus Angst vor Stau oder vor der anrückenden Polizei durchaus auch den langen Umweg über Beatenberg in Kauf nahmen. Aber gerade dort war die Straße abgeriegelt, denn die Nachricht von der wüsten bewaffneten Auseinandersetzung hatte bereits die Runde gemacht, und keiner auf der Sonnenterrasse wollte eidgenössische Guerillatruppen im Dorf.
    Nun vernahm man das Wimmern von Verzweifelten und die Schreie einzelner Verletzter, das Dröhnen von Hubschraubern, die nicht landen konnten, und die weit entfernten Martinshörner der Polizei- und Rettungsfahrzeuge.
    Martin Gerber riskierte einen Blick nach draußen und deutete an, die Lage sei ungefährlich. Die Beine der so lange Eingeschlossenen sackten bei den ersten Schritten ein, wegen der erlahmten Muskulatur, aber auch wegen des sumpfigen Bodens. In der Form, in der sich der Festplatz präsentierte, war er noch nie hinterlassen worden: Die Spycher standen offen, die Käsebretter lagen immer noch herum und mit ihnen haufenweise Abfall, dazwischen Rucksäcke, die Wanderer auf der Flucht hatten liegen lassen, im Dreck stecken gebliebene Stiefel, zertrampelter Blumenschmuck der Kühe, und hin und wieder sah man eine in eine Regenpfütze ausgelaufene Blutlache. Denn jeder, der es noch irgendwie schaffte, hatte den Platz verlassen, wollte nicht dabei gewesen sein, wollte keine Waffe besessen haben. Ein paar Personen, deren Geschlecht erst beim Nähertreten unter der Schmutzkruste festzustellen war, blieben am Ort, an dem sie hingefallen waren, mit gebrochenen Gliedern liegen und trauten sich erst jetzt wieder, um Hilfe zu rufen.
    Philipp Mettler rannte weinend durchs Gelände und suchte seine Käserin, in den mobilen Toiletten harrten ein paar besonders Geruchsresistente bis zum Ende des Aufruhrs aus, zwei davon im umgekippten Häuschen feststeckend, das mit der Tür nach unten auf der Wiese lag. Aber in Sicherheit. Wie Wahnsinnige rasten Bangerter Ernst und Andrea Luginbühl sowie Bangerter Yolanda und Rolf Luginbühl über die gesamte Alp, eine Wahlverwandtschaft aus Not. Nach einer halben Stunde hörten sie hinter der Spicherberg-Hütte ein kollektives Wimmern. Eine Alpsau hatte sich der Sprösslinge angenommen und unterwies sie im wichtigsten Fach, das Ferkel beherrschen müssen: dem regelmäßigen Befeuchten der Haut, und sei es im eigenen Dreck. So kamen denn Jennifer und Justin, Elton, Kevin und Sabrina mit vielen neuen Erkenntnissen nach Hause, aber auch mit einem Geruch, der erst verschwunden war, nachdem man die äußeren Hautschichten unter heißen Wasserfällen abgerubbelt hatte.
    Vor dem eingestürzten Festzelt aber, da stand einer nicht mehr auf, Tommaso Capogrosso, der gekommen war, um einen Augenschein zu nehmen, weil er sich als Arbeitsloser aus dem Aostatal für die nächste Alpsaison als Zusenn verpflichten lassen wollte.

    In diesem Augenblick gab ein Handy die ersten Takte von Led Zeppelins ›Whole Lotta Love‹ von sich. Müller steckte seine Hand in die Jackentasche und nahm den Anruf wie in Trance entgegen: »Heinrich, halt dich fest, du wirst es nicht glauben, Abderhalden hat gestanden. Wenn du wüsstest, was ich für einen anstrengenden Tag gehabt habe …«

Samstag, 27. September 2008

    Im Bauch & Kopf waren an diesem Samstagnachmittag, der sich bis weit in die Nacht hineinziehen sollte, alle versammelt. Baron Biber hatte sich die Oberschenkel von Heinrich Müller ausgesucht, der darauf für sich das Recht in Anspruch nahm, wie weiland Henry Miller bedient zu werden, was Nicole Himmel wiederum erlaubte, ihre Lucy-Seite herauszukehren. Leonie machte gute Miene und servierte große Gläser voll reinsten Wassers.
    »Ich bin heute Morgen für euch mit dem Velo zum Glasbrunnen gefahren und habe dort Wasser geholt«, sagte sie.
    »Schön«, entgegnete Lucy ohne Überzeugung.
    Heinrich Müller und Bernhard Spring reagierten nicht.
    An der Tür klopfte es. Alle blickten irritiert in diese Richtung, denn wer klopfte schon am Eingang einer Bar?
    »Herein!«, rief Leonie.
    Die Tür öffnete sich, und in die Stube traten Oxana Reber, ungeschminkt und leichenblass, und die nicht viel besser aussehende Alice Grünig. Sie setzten sich auf die Hocker am äußersten Rand des Tresens.

    »Ich habe das Vernehmungsprotokoll mitgebracht«, sagte der Störfahnder. »Ich les euch ein paar Abschnitte vor.«
    Spring: Haben Sie Kurt Grünig getötet?
    Abderhalden: Nein. Das habe ich schon oft gesagt.
    Spring: Gewisse
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