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Feste feiern, wie sie fallen (German Edition)

Feste feiern, wie sie fallen (German Edition)

Titel: Feste feiern, wie sie fallen (German Edition)
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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nicht im Kalender nachzusehen, um zu wissen, welches Datum heute war. Der 23 . Dezember. Einer der schrecklichsten Tage des Jahres. Unter den Top 5 auf der Elendsliste, vielleicht sogar unter den ersten drei Plätzen. Es war schwierig, eine Rangliste seiner Miseren aufzustellen, aber eines wusste er: Der zweite Weihnachtstag war am schlimmsten. Dann kamen all die anderen Tage vor und nach Weihnachten, die sich wie ein Ring aus Schuld und Angst darumlegten. Das war nicht immer so gewesen. Früher hatte er Weihnachten im normalen Maße gehasst, mehr als gewöhnliche Feiertage, aber nicht mehr als andere Familienfeste wie Ostern oder Mittsommer. Große Zusammenkünfte, bei denen die Menschen alles dafür taten, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass sie glücklich miteinander waren, hatten ihn schon immer abgeschreckt. Wir sind eine Familie, sagten die Leute einander. Uns geht es gut, und wir sind gern zusammen.
    All die verlogene Intimität, nur weil der Mensch es nicht erträgt, der Wahrheit ins Auge zu sehen: wie einsam er ist.
    Obwohl das auch nicht ganz stimmte. Er wusste, dass er die Dinge vereinfachte und das nicht für alle Menschen galt. Manche hatten tatsächlich Kinder, Geschwister, Verwandte, die sie liebten und in deren Nähe sie sein wollten. Für sie waren die Feiertage eine willkommene Gelegenheit, um bei ihren Lieben zu sein.
    Für ihn nicht.
    Dafür hatte Weihnachten gesorgt.
    Er vermisste sie so sehr. Sabine und Lily, die ihm am zweiten Weihnachtstag 2004 genommen worden waren. Dem Tag, an dem er ein neues Wort gelernt hatte: Tsunami.
    Jedes Weihnachten kam die Erinnerung an sie zurück, eindringlicher und noch lebendiger. Sie ergriff von seinem gesamten Inneren Besitz, und der Verlust wurde schmerzlich greifbar. Alles kam zurück: Thailand, der Strand und Sabines kleine Hand in seiner. Das ruhige Meer vor ihm, als er noch nicht ahnte, welche Tragödie diese Stille ankündigte. Die fröhliche, lachende kleine Sabine, vier Jahre alt und schon bald kein Leben mehr vor sich. Wie er sie zunächst festhielt, dann jedoch verlor und zuließ, dass die Welle sie ihm entriss.
    Das war alles, was Weihnachten jetzt noch für ihn bedeutete. Schmerz und Verlust.
    Er schlug die Bettdecke zurück, stand auf und ging in die dunkle Wohnung hinaus. Der Winter draußen schien auch nicht in Weihnachtsstimmung zu sein. Kein Schnee oder Frost. Nur Dunkelheit, grauer Matsch und ein eisiger Wind, der sich durch die Kleidung biss und einem durch Mark und Bein ging. Es war, als wäre das Wetter sein leibhaftig gewordener Schmerz.
    Torkel, sein Chef in der Reichsmordkommission, hatte ihn vor einer Stunde angerufen und ihn überreden wollen, auf irgendein großes Weihnachtsessen außerhalb von Gävle mitzukommen, zu dem Verwandte seiner Ex-Frau eingeladen hatten. Sebastian hörte ihm genau an, dass er eigentlich selbst keine Lust darauf hatte. Vielleicht dachte Torkel, es würde ihm guttun, jemanden als Begleiter zu gewinnen, der noch einsamer war als er selbst.
    Torkel musste einfach lernen, nein zu sagen. So wie Sebastian es ihm gegenüber getan hatte. Freundlich, aber bestimmt.
Nie im Leben, Torkel! Bist du noch ganz bei Sinnen?!
    Er musste jemanden fürs Bett finden. Das begriff er, als er in der stillen, leeren Wohnung stand. Und zwar sofort. Sex war das Einzige, was seine Angst dämpfen konnte und ihn für eine Weile vergessen ließ. Der Plan würde allerdings Sebastians vollen Einsatz erfordern. Weihnachten war auch in dieser Hinsicht eine ungünstige Zeit. Es war schwierig, ja beinahe unmöglich, jemanden aufzureißen. Die Kneipen waren leer, es gab keine interessanten Vorträge oder Kulturveranstaltungen, und die Leute rannten gestresst durch die Gegend und hatten nur ihre Weihnachtsvorbereitungen im Kopf. Es schien fast so, als wäre der Sexualtrieb kurzerhand durch den Konsum von Essen und Geschenken ersetzt worden. Und wer allein war, saß vermutlich zu Hause und bemitleidete sich selbst, ohne sich vor die Tür zu wagen. Denn das wäre wie ein Geständnis: Ich habe niemanden.
    Er hasste Weihnachten.
    Aus tiefstem Herzen.
     
    Nach einer langen Reihe missglückter Kontaktversuche war er schließlich bei Lydia Hermansson zu Hause gelandet. Sie war sein letzter Strohhalm gewesen, und er war mit dieser Lösung ganz und gar nicht zufrieden. Im Grunde gab es an Lydia nichts auszusetzen. Sie war eine attraktive und intelligente Brünette um die vierzig – ihr genaues Alter hatte ihn nie interessiert. Sie hatte ein breites
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