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Fernsehkoeche kuesst man nicht

Fernsehkoeche kuesst man nicht

Titel: Fernsehkoeche kuesst man nicht
Autoren: Nikola Hotel
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Sie animierten ihn dazu, Bilder mit Burgen und Drachen zu malen und keine Blumenrabatten oder Gemüsebeete. Mechanisch drückten sie ihm Autos und Baumaschinen in die Arme, jagten ihn zum Spielen auf das Klettergerüst, weil sie der Meinung waren, dass Sandkuchenbacken bei einem Jungen nur bis zu einem gewissen Alter sinnvoll sei.
    Raphael zwinkerte mit den blauen Augen und zeigte seine Grübchen. Und wenn es niemand bemerkte, schlich er sich an den Spielzeugherd und kochte imaginäre Spaghetti, Linguini, Farfalle und all die anderen Nudelsorten, die er von seiner Oma Hilda kannte, und die in seinen Ohren herrlich nach Kochmusik klangen.
    Wenn man ihn heute danach fragt, dann sind ihm vor allem diese Augenblicke in der Küche seiner Großmutter in Erinnerung geblieben: der große Herd; die gusseisernen Pfannen, die so schwer waren, dass man sie mit beiden Armen auf die Platte wuchten musste. Die Dämpfe, die durch die kleine Küche waberten, wenn eine Soße vor sich hin köchelte; die italienischen Lieder, die Oma Hilda noch aus ihrer Kindheit kannte und immer dann sang, wenn sie in den Töpfen rührte.
    Seine Neugier brachte ihn dazu, auf jeden Samen zu beißen, Blätter von den Topfkräutern abzurupfen und einmal sogar, weil ihn niemand daran hindern konnte, eine ganze Knoblauchzehe zu zerkauen. Deshalb kannte er sich mit Schärfe aus und mit der Wirkung, die würziger Geschmack und süße Düfte auf Frauen ausübten.
    Wenn auch die Erzieherinnen seine Talente belächelten, so bemerkte er sehr wohl die bewundernden Blicke der Mädchen, weil er die schönsten Sandkuchen backen und mit Beeren garnieren konnte, während die anderen Jungs nur Lego stapelten. Er dachte sich Namen dafür aus und machte Gina, Anna oder Chiara seine unsichtbaren Speisen so schmackhaft, dass sie seufzten.
    Wenn es eins gab, was Raphael Richter in die Wiege gelegt worden war, dann war es kochende Leidenschaft.

Kapitel 2
     
    »Crashen wir ihn?«, fragte Klaus und rieb sich die Hände. Ich warf meinem Anästhesiepfleger einen warnenden Blick zu. Es war mir äußerst unangenehm, dass er solche Sprüche vor den Ohren des Patienten losließ. Crashen klang schließlich so, als würde man Eis zerstampfen.
    »Wir machen eine RSI«, verbesserte ich ihn. Ich fand, das hörte sich doch gleich viel professioneller an. Ich beobachtete, wie Klaus die Instrumente bereitlegte. Er war ein fülliger Endvierziger mit Backenbart. Anscheinend hatte ihm noch niemand gesagt, dass diese Art Bart seit Ende der Sezessionskriege nicht mehr in Mode war. Außerdem roch er, und das nicht nach Blümchen. Es sei denn, es gab Blumen, die irgendwie nach Schweiß und feuchtem Keller müffelten. Dazu kam noch, dass er seinen Bauch wie eine Kanonenkugel vor sich hertrug, was sehr unangenehm war, wenn nur begrenzter Raum zur Verfügung stand. Nicht selten musste ich mich an ihm vorbeizwängen, sodass ich froh war über jede Lage Stoff, die mich von ihm trennte.
    Was man Klaus aber zugutehalten konnte, war seine große Erfahrung als Anästhesiepfleger. Er wusste immer vor mir, was ich als Nächstes brauchen würde, und ich war froh, ihn gerade jetzt an meiner Seite zu wissen. Dr. Kuttenkeuler war inzwischen auf dem Weg hierher, aber solange ich ihn noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, war ich nervös. Und nicht nur ich: Raphael Richter sah mit einem Mal auch alles andere als cool aus. Seine Schmerzen schienen verebbt zu sein, dafür hatten seine Augen einen irren Glanz. Einen irren, meerblauen Glanz, der mich sehr faszinierte, das konnte ich nicht leugnen.
    »Kann es endlich losgehen?«, fragte Prof. Straubing ungehalten. Er sah aus wie ein unförmiges Marsmännchen. Ganz in Grün lugte nur noch seine Augenpartie aus der OP-Kleidung heraus.
    »Ich möchte eigentlich noch auf meinen Oberarzt warten«, erklärte ich.
    »Was?«, schnauzte er. »Mädchen, das ist ein Notfall!«
    »Das mag ja sein, aber der Patient ist privat versichert.«
    Straubing traten die Augen aus den Höhlen. Ich schaute mich Hilfe suchend nach Klaus um, aber der war ganz Ignoranz und schob einige Absaugkatheter auf dem Tablett hin und her. Meine Freundin Gaby drängte sich zu mir durch, die Hände in den sterilen Handschuhen weit von sich gestreckt.
    »Weißt du, warum Napoleons Feldärzte 100 Amputationen pro Tag durchführen konnten?«, fragte sie.
    Ich stöhnte innerlich. Dass sie in diesem Moment unbedingt einen Witz reißen musste, fand ich nun überhaupt nicht hilfreich.
    »Sie brauchten nicht auf
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