Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feldblumen

Feldblumen

Titel: Feldblumen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
unschuldiger Jüngling voll ungebändigter Hoffnungen und ein unerschöpfliches Weltmeer von Vertrauen in dem Herzen! - - Wie viel hat sich seitdem geändert - wie viel habe ich geirrt, gesündigt und gebüßt, und wie scharf einsam bin ich heute gegen das Wogen und Wallen von Gestalten, die mich damals umgaben! Aber ein Rest ist geblieben, ein Boden, auf dem die Blumenfantasie gestanden: die feste, schönheitsliebende Seele ist geblieben - und manch schönerer Blumenwald kann einst wieder daraus emporsprossen - er kann ja noch sprossen!
    »Geht schlafen, lieber Herr,« sagte plötzlich der Jäger zu mir; »Ihr habt morgen einen weiten Weg, und es wird heiter und heiß sein - ich verlasse Euch, da mir der Mond schon hoch genug ist.«
    Ich schlafen gehen? Dazu war ich viel zu bewegt. Ich ging den See entlang, von dem jetzt Ruderschläge herkamen, und bald darauf das Schiff der Freunde. Isidor sprang heraus und jubelte und sagte, es sei eine Götternacht, und der Doctor bedauerte mich, daß ich nicht mit zu Schiffe gewesen; an diesem einen der zwei angekommenen Fremden habe er einen wahren Fund gethan; er singe einen unvergleichlichen Tenor; der sei noch immer abgegangen; Lothars Stimme sei doch nur ein Bariton; nur schade, daß die Zither, die der Fremde mitgebracht, in der Eile in dem Hause vergessen worden sei. Sie gingen Alle dem Hause zu - ich nicht; denn wo sie ihr Schiff anlegten, bemerkte ich ein zweites kleines; mit diesem wollte ich ganz allein auf den See hinausfahren. Ich band es leicht los und stieß ab.
    Nun wurde es weit um mich - die Berge traten zurück und standen groß da in lichtnebligen Schleiern und sanft in träumerischer Magie, und ich schwamm auf dem schönen, glatten, flimmernden Elemente, und bei jedem Ruderschlage rann flüssiges Silber um mein Schiffchen. Aus dem Seehause schallten noch die Reden meiner Reisegefährten, die schlafen gingen, und als es immer mehr und endlich ganz still geworden, und der Mond schon fast im Scheitel seiner blauen Halle stand, da hörte ich wieder zu meinen Häupten das leise seltsame Läuten: aber es war, als fielen nur einzelne Töne unendlich fern aus der Luft - dann schien es von dem See zu kommen, dann von den Felsen - dann schwamm es wieder hoch am Himmel - ich ließ das Ruder sinken, und das Wasser an dem Schiffchen aussäuseln und horchte hin - keine Glocke, eine Zither war es; die Laute kamen von einem schwarzen Punkte aus dem Wasser; nur das Echo hatte mit den Klängen so wunderbar gespielt. Ich fuhr so leise als möglich näher; die Töne wiegten sich und schwollen, und wurden ein Gewimmel, und plötzlich sang eine Männerstimme darein. Ich erkannte die Melodie: es war die Schubertsche über das Seelied von Göthe - deutlich kamen die Worte her: »Wie ist Natur so hold und gut, die mich am Busen hält« .... Ich irre nicht: es war dieselbe Stimme, die das Alpenhorn von Justinus Kerner sang. Mein Kahn war noch im Zuge und glitt ohne Rudern näher; ich konnte jetzt dem Gesange Wort für Wort folgen und folgte mit steigendem Herzen:
Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum, so Gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.
    Ich konnte nicht anders: ich ließ die Thränen in die Augen steigen, daß der Mond zitternd und zerblitzend drinnen schwankte - o, mein Traumgold war heute auch schon längstens wieder gekommen - ich vermochte es aber nicht wegzuweisen und zu sagen: »Hier auch Lieb' und Leben ist.« Das Lied ging fort und wurde groß und fromm, erschütternd einfach, wie im Kirchenstyle vorgetragen - ich regte mich nicht in dem Kahne; aber als es geendet und nur noch die Zithertöne, dieser wahre Kuhreigen der obderennsischen Alpen, fortdauerten und hüpften und zitterten, im Wechselgesange mit der Alpentochter Echo: fuhr ich rasch näher und erblickte einen Kahn, wie meiner war, und drinnen saß der Engländer oder vielmehr er lehnte vor einem Brete, worauf er die Zither hatte. Seine Ruder lagen bei ihm auf dem Schiffe, das bei der Stille des Wassers auf einem und demselben Punkte stehen blieb. Als er meiner ansichtig wurde, streute er gleichsam noch ein paar Hände voll Töne wie Goldkörner über den See und sah mich schweigend an, der ich seinem Gesichte fast auf Spannenweite nahe gekommen war. Ich war sehr verlegen, was ich sagen sollte, als ich das wirklich schöne Angesicht, vom Mondlichte beschienen, fragend auf mich geheftet sah. »Herr,« sagte ich endlich, »ich störe Sie wohl? Sie genießen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher