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Feldblumen

Feldblumen

Titel: Feldblumen
Autoren: Adalbert Stifter
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während wir doch (er und ich) nur die reine Form anbeten und den stofflichen Besitz endlich immer jemand Anderm lassen, - er freilich etwas spät und ungern, nämlich bei seinem Lebensende, - ich aber jeden Augenblick und mit größter Heiterkeit.
    Ich will aber jetzt von dieser Vergleichung aufhören und Dir andere Dinge in diesem Tageblatte berichten. Ich habe mein Modell wieder gesehen. Sie ist noch immer dieselbe. Aus Zufall sah ich sie mit ihrer Mutter in die Annenkirche gehen, und ich ging dann auch hinein. Sollte ich sie hier öfter sehen können, so will ich suchen, mir ihre Züge zu stehlen und in einer glücklichen Stunde auf die Leinwand zu werfen; dann sende ich dir ein Miniaturbild davon für deine Sammlung schöner Menschenköpfe. Vielleicht kann ich Dir gleich
zwei
erlesene Stücke senden; denn Aston versprach, daß ich in den nächsten Tagen bei seiner Familie eine der größten Schönheiten sehen solle - ja, die größte, wie er unumwunden erklärte, welche die Luft innerhalb der Mauern Wiens athme - und daß er es so veranstalten wolle, daß ich unvermerkt ihr Bild in meine Mappe bekomme, da sie außer andern tausend Thorheiten auch die besitze, nie einem Maler sitzen zu wollen. Sie ist die vertraute Freundin seiner Töchter, denen sie, wie er sagt, den Kopf eben so albern mache, wie der ihrige ist. Jetzt kommt sie nicht, weil ihre Tante krank ist. Ihr Vorname ist Angela, welchem Vornamen sie wohl körperlich, aber nicht geistig entsprechen soll. Nun, ich bin neugierig - toll wäre es, wenn sie meine Antike wäre.
    Noch muß ich Dir sagen, ehe ich schließe, daß ich gestern wieder einmal recht spazieren war, so zu sagen, unendlich, auf allen Landen herum, um Heerschau über alle Schönheiten zu halten, über lebende und leblose. Da waren die lichten, klaren, glänzenden Lüfte mit den wunderlichen Aprilwolken voll Sonnenblicken - das Zittern der anbrütenden Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern - die schönen grünen Streifen der Wintersaat dazwischen; - dann waren die röthlich fahlen Wälder, die an den Bergen hinanziehen, mit dem sanften blauen Lufthauch darüber, und überall auf der farblosen Erde die geputzten Menschen wandelnd, die so gern die ersten Strahlen der schwachen Lenzsonne und der reinen Luft genießen wollten. Eine Mutter sah ich mit mehreren schönen Töchtern, die sehr jung waren und in allen Abstufungen bis zur Kindheit herab auf den lieben runden Wangen das Roth der Unschuld und Gesundheit trugen, welches Roth noch röther wurde, als ich sie unversehns anblickte. - Ich habe diese Gattung Scham so gern - gleichsam rothseidne Vorhänge zieht die junge Seele plötzlich vor dem fremden Auge über, das unberufen will hineinsehen. Auch Männer sah ich viele, aber wenig von Werth; - nur einen fand ich, der mich fesselte, einen sehr jungen Mann: er zeichnete die Aussicht in ein Gedenkbuch, und ich sah ihn mit Muße an - ein Gesicht voll Ernst und Güte, mit klugen, unschuldigen Augen. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, und ich ging endlich weiter. Da dachte ich so, wie denn Gott mit den Linien und Formen des Menschenangesichts so eigen und am wunderbarsten den Geist der Schönheit verband, daß wir so mit Liebe hineinsehen und von Rührung getroffen werden; - aber kein Mensch, dachte ich, kann eigentlich dieses wundervolle Titelblatt der Seele so verstehen, als ein Künstler, ein echter, rechter, wie er uns Beiden oft im Ideale vorschwebte; denn der Weltmensch schaut nur oberflächlich oder selbstsüchtig, und der Verliebte verfälscht, nur zu sehr am irdischen Geschöpfe hangend: aber der reine, einfältige Meister in seiner Werkstätte, tagelang denselben zwei Augen gegenüber, die er bildet und rundet, - der sieht den Finger Gottes aus den todten Farben wachsen, und was er doch selber gemacht hat, scheint ihm nun nicht bloß ein fremdes Gesicht, sondern auch eine fremde Seele, der er Achtung schuldig ist, - und öfters mag es geschehen, daß mit einem leichten ungefähren Zug des Pinsels plötzlich ein neuer Engel in die Züge tritt, davor er fast erschrickt, und von Sehnsucht überkommen wird.
    Ferner dachte ich an Gallerien, wo die Augen und Wangen längst vergangener Geschlechter noch immer ihre Freude und ihr Weh erzählen - - - - dann dachte ich an unser eignes Sterben und an den Glanz derer, die nachher sein werden - - und in dem Fortspinnen desselben düster schönen Gedankens zog ich die sanften Fäden planlosen Fantasirens um mein Haupt, und über die große
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