Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
Vom Netzwerk:
gewesen
war. Vielleicht hatte die Nähe zu Anne nur die Funktion gehabt, das bittere
Gefühl abzumildern, dass er wegen eines anderen Mannes verlassen worden war.
Ein niederträchtiger Gedanke, zweifellos. Hieß das doch, seine Welt wäre in
Ordnung gewesen, hätte er Anne verlassen.
    Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprintete er zu seiner Wohnung
im ersten Stock hinauf. Kurz nach fünf, und er hatte noch nicht mal geduscht!
    Gern hätte er den Tag in aller Stille ausklingen lassen, als Beginn
eines wunderbar ruhigen Wochenendes. Außer dem Einkauf am Samstag keinerlei
Verpflichtungen. Lesen, nette Musik auflegen, vielleicht ein paar Akten
durcharbeiten und ansonsten nichts hören und nichts sehen. Einen Augenblick
blieb er im Wohnzimmer stehen und blickte sehnsüchtig nach seiner Couch hin,
auf der er ein Gutteil des Wochenendes zu verbringen gedachte. Dieses
saubequeme, ausladende, riesige Ding. „Monströs“, wie Anne immer sagte.
    Dann fiel sein Blick auf den Berg alter Zeitungen in der
Fensternische. War der auch gestern schon so hoch gewesen? Es waren die banalen
Dinge im Leben, die er nie in den Griff bekam, weil er sie einfach verdrängte.
Und so quoll der „Gelbe Sack“ ständig über, die leeren Flaschen unter der Spüle
schienen sich über Nacht auf wundersame Weise zu vermehren, und der Stapel Altpapier
war plötzlich und völlig unerwartet so angeschwollen, dass er beinahe umfiel.
    „Ihr habt´s gut“, murmelte Chris in Richtung der beiden gerahmten
Bruno Bruni-Poster an der Stirnwand des Wohnzimmers, „hängt einfach nur da
rum.“
    Außer zwei stabilen Ikea-Regalen, die mit Büchern vollgestopft waren
und dem futuristisch anmutenden Deckenfluter daneben waren die beiden
fragil-zarten Aktzeichnungen das einzig Moderne in dem ansonsten antik
eingerichteten Zimmer. Als er vor zwei Jahren auf Wohnungssuche gegangen war
und kaum eigene Möbel besaß, weil er seinerzeit Hals über Kopf zu Anne gezogen
war, starb seine Tante und vermachte ihm das gesamte bewegliche Inventar ihrer
Eigentumswohnung. Der einzige Kommentar seiner Mutter, deren Schwester die
Verstorbene immerhin war, lautete: „Wie praktisch, gerade jetzt!“
    Die Möbel waren nicht nur wertvoll, sondern Chris fand sie auch
wunderschön, und so hatte er plötzlich vor dem Problem gestanden, die passende
Wohnung für Kirschholzsekretäre, Schränke mit hohen Aufbauten und eben diese
Couch finden zu müssen, was nach einigen Schwierigkeiten auch gelungen war. Es
war sicher nicht das beste Wohnviertel. Zu viele Häuser mit grauen Fassaden und
bröckelndem Putz, zu viele Migranten, Döner-Buden und Kneipen. Aber die
Altbauten boten viel Platz und hohe Decken, und sie waren halbwegs bezahlbar.
    „Verdammt, Sprenger! Verdammt!“ Statt sich frisch zu machen stand er
hier blöd rum und bewunderte seine Möbel. Er würde zu spät kommen — wie immer.
    Nach einer eiligen Dusche und einer hastigen Rasur schlüpfte er in den
nachtblauen Dreiteiler, der für die wirklich wichtigen Anlässe vorgesehen war.
Die Weste spannte, und als er die farblich passende Fliege anlegte, verzog er
angewidert das Gesicht. Er hasste Fliegen!
    Aber schließlich war Johannes Eickboom nicht irgendwer. Und wenn
dieser stinkreiche Knacker mit dem Finger schnippte, hatte sein Anwalt zur
Stelle zu sein. So wie heute. Das verwöhnte Söhnchen von Eickboom hatte sich
betrunken hinters Steuer gesetzt und prompt einen alten Herrn überfahren, der
einfach nur die Straßenseite wechseln wollte. Die Anklage lautete auf
fahrlässige Tötung, und nächste Woche war der Prozess. Eickboom Senior bestand
nun darauf, über die Verteidigungsstrategie von Chris aufgeklärt zu werden und
hatte das mit einer Einladung zum Abendessen in seinem Haus verbunden. Deshalb
die Fliege.
    Als er seine Füße in die etwas zu engen Schuhe zwängte, machte sich
sofort das Hühnerauge am kleinen Zeh bemerkbar. Aber es waren die einzigen
Schuhe in seinem Bestand, die zu Dreiteiler und Fliege passten. Also biss er
die Zähne zusammen, wünschte sich selbst einen „schönen Abend“ und machte sich
auf den Weg.
    Der „schöne Abend“ war auch nicht schlimmer als die vielen anderen, an
denen er die Gastfreundschaft von Eickboom genießen durfte. Allein das protzige
Haus mit Sauna, Pool und philippinischem Dienstmädchen, in dem er sich fehl am
Platz vorkam. Frau Eickboom, die im viel zu tief ausgeschnitten schwarzen
Seidenkleid dabeisaß und nicht zu Wort kam. Stefan Eickboom, der Junior, der
absolut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher