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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
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überholt. Ihre nackten Oberschenkel glänzten
vor Schweiß, und auf ihren T-Shirts hatte sich zwischen den Schulterblättern
ein dunkles V abgezeichnet. Chris sah ihnen hinterher und schüttelte
unwillkürlich den Kopf. Er würde nie verstehen, warum so viele Menschen so viel
daran setzten, übermäßig zu schwitzen.
    „Meine Eltern lassen übrigens fragen, ob du im Juli zu ihrer Goldenen
Hochzeit kommst“, fiel Anne ein, kurz bevor sie den Parkplatz erreichten.
    „Klar! Kommt Hans auch?“
    „Sicher.“
    „Trautes Familienglück, was?“
    „Wie meinst du das?“ Anne blieb stehen und schaute ihn mit einer
Mischung aus Skepsis, Strenge und Verärgerung an.
    „Na, so wie ich´s gesagt habe“, lenkte Chris schnell ein. „Er gehört
doch zur Familie, oder?!“
    „Aber ins Herz geschlossen hast du ihn nicht, hm?“
    „Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?“, fragte Chris zurück.
Immerhin war Hans jener „neue Freund“, der seine Welt zum Einsturz gebracht
hatte.
    „Vielleicht! Aber er kann ja nichts dafür.“
    Anscheinend kann dieser Mann für nichts etwas, dachte Chris und zog es
vor, nicht zu antworten. Anne wäre sofort wütend oder beleidigt gewesen.
Wahrscheinlich sogar beides.
    „Ich hab heute Nachtdienst“, wechselte sie von sich aus das Thema und
verzog das Gesicht.
    Chris grinste sie breit an. „Und du bist hochgradig motiviert.“
    Anne grinste genauso breit zurück, aber ihre Augen lachten nicht mit.
„Manchmal möchte ich dich erwürgen!“
    „Köln würde den besten Strafverteidiger verlieren, den diese Stadt je
hatte. — Also lass es!“
    „Mistkerl!“ Jetzt lachte Anne tatsächlich und legte ihren Arm um seine
Taille. „An was arbeitest du überhaupt im …?“
    Ein schmatzendes Geräusch ließ sie mitten im Satz abbrechen. Sie löste
sich von ihm, hob ihren rechten Fuß, starrte ungläubig unter die Sohle und
murmelte: „Oh Scheiße!“
    Chris betrachtete aus sicherer Entfernung die bräunlich-gelbe Masse,
die aus dem Sohlenprofil herausquoll und sich als dicker Wulst an der
Innenseite von Annes Schuh hochschob. „Stimmt“, bestätigte er trocken.
    Er fing sich einen wütenden, giftigen Blick ein, der für einen kurzen
Moment Bitterkeit in ihm aufsteigen ließ. Wie oft hatte er sich in den acht
Jahren einen Hauch von Gelassenheit bei Anne gewünscht, eine Spur ehrlichen
Humors. Sie hätten mehr Champagner und weniger schales Bier miteinander
getrunken. Ganz sicher.

Drei
     
    Mit einem
tiefen Seufzer schaute Susanne Braun auf die Uhr. Dann schlug sie den vor ihr
liegenden Ordner zu. "Halb sechs! Jetzt hab ich die Faxen dicke!“
    Heinz Hellwein blinzelte vom gegenüberliegenden Schreibtisch herüber.
Um sich herum hatte er sein übliches Chaos ausgebreitet. Die drei Ablagekörbe
auf der zerkratzten Schreibtischplatte quollen über, drum herum stapelten sich
die grünen und roten Aktendeckel der Staatsanwaltschaft, und der
Computerbildschirm war bedeckt mit Dutzenden winzig kleiner Notizzettel.
Mehrere aufgeschlagene Ordner lagen auf dem grauen Linoleumboden, dazwischen
Briefe, Tatortfotos und zwei Polizeihandbücher.
    „Wochenende, Chef?“, fragte der Oberkommissar hoffnungsvoll und rollte
mit seinem Stuhl rückwärts. Knisternd fuhr er über ein Rundschreiben des
Bundeskriminalamts.
    „Worauf du einen lassen kannst!“, schnaubte Susanne. Wochenende! Sie
konnte sich dunkel erinnern, wie man dieses Wort schrieb. Wie es sich anfühlte,
frei zu haben, ausgeschlafen zu sein und zu tun, was einem gerade so in den
Sinn kam, wusste sie nicht mehr. Dafür war in den letzten Monaten zu viel
passiert in dieser verdammten Stadt. Messerstechereien in der Türsteherszene,
ein ermordeter Taxifahrer, eine missbrauchte und erdrosselte Siebzehnjährige
und zuletzt dieser Raubmord in Godorf. Den konnten sie zwar mit Hilfe einer
aufmerksamen Zeugin schnell aufklären, aber jetzt fochten sie den ewigen Kampf
mit dem Papier aus. Ermittlungsunterlagen komplettieren, Berichte schreiben,
die Beweislage so hieb-und stichfest machen, dass der Staatsanwalt damit vor
Gericht bestehen konnte.
    Resigniert schaute die Hauptkommissarin auf die Aktenberge, die sich
vor ihr stapelten und dann auf den überdimensionalen Stadtplan an der
gegenüberliegenden Wand, als könnte der ihr sagen, wie sie das alles bewältigen
sollte. Sie forschte unter einem meterlangen Fax, das sich über ihren
Schreibtisch schlängelte, nach ihren Zigaretten und sagte gedankenverloren: „Es
gibt zu viele Kunden in dieser
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