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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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Vater bestimmt liebte.
    »Sie haben von mir gehört?«
    »Angeblich haben Sie bei jedem unehrlichen Deal in der Stadt Ihre Finger im Spiel?«
    »Und trotzdem rackere ich mich ab, um jeden Monatdie Miete zu bezahlen«, sagte ich. »Wie mache ich das bloß?«
    Ihr Lächeln wurde breiter und schloss neben Blutsverwandten nun auch andere männliche Wesen ein.
    »Und angeblich haben Sie vor ein paar Monaten einen Mann erschlagen, der doppelt so groß war wie Sie.«
    Ich sah keinen Grund, die wuchernde Legendenbildung durch Zweifel zu untergraben.
    Wir kamen am fünften Stock vorbei.
    »Wie alt sind Sie?«, fragte sie.
    »Alt genug, um es besser zu wissen«, sagte ich, und die Tür der kleinen Kabine öffnete sich zu einem trüben, klaustrophobisch engen Korridor.
     
    Mindestens ein Dutzend uniformierter Polizisten und Detectives in Zivil standen vor oder in Apartment 6 H . Die Frau, die mich abgeholt hatte, führte mich vorbei an zwei widerwilligen uniformierten Beamten an der Tür durch einen pinkfarbenen Flur in ein bescheidenes Wohnzimmer, komplett möbliert in Babyblau, Chrom und einem verblassten Rot.
    »Leonid McGill«, sagte die frisch zum Detective Lieutenant beförderte Mordermittlerin Bethann Bonilla. Es war weder Begrüßung noch Anklage, sondern schlicht eine Feststellung, wie von einem Kleinkind, das ein Wort ausspricht und gleichzeitig seine Bedeutung lernt.
    Ehe ich antwortete, warf ich einen Blick auf den Tatort.
    Genau in der Mitte zwischen babyblauer Couch, Kochnische und Fenster lag die Leiche einer blondenFrau in einem braunen Bademantel, der, wahrscheinlich bei ihrem Tod, aufgegangen war. Durch das Fenster blickte man auf das Gebäude gegenüber. Die Frau war bei ihrem Ableben auf jeden Fall jung gewesen, möglicherweise auch hübsch. Das ließ sich jedoch nur schwer sagen, weil ihr halbes Gesicht weggeschossen war.
    Sie lag auf dem Rücken, einen Schenkel wie in einem finalen Bemühen um Schicklichkeit über ihre Scham gelegt. Ihre Brüste hingen traurig herab. Es ist immer irritierend, Details von Jugend an einer Leiche zu erkennen.
    In einer Ecke hinter der blauen Couch lag ein, wie man inzwischen gemeinhin sagt, Afroamerikaner in einem dunkelgrauen Anzug. Er war ein großer und schlaksiger brauner Mann mit einem ernsten, aber nicht Furcht einflößenden Gesicht gewesen. Aus seinem Oberkörper ragte links in einem ungewöhnlichen Winkel der Griff eines Schlachtermessers, als habe jemand die Klinge in seiner Brust verkeilt. Um die Wunde war kaum Blut zu sehen.
    »Glückwunsch«, sagte ich zu Detective Bonilla, die einen halben Kopf größer war als ich.
    »Was?«
    »Ich habe gehört, Sie sind jetzt Lieutenant.«
    »Ich arbeite hart«, antwortete sie, als hätte ich angedeutet, dass ihr neuer Rang in irgendeiner Weise unverdient sei.
    »Ja«, sagte ich. »Ich hab es am eigenen Leib erfahren.«
    Vor etwa vier Monaten hatte Bonilla in einer Serie von Mordfällen ermittelt. Eine Zeit lang war ich ihr Lieblingsverdächtiger gewesen. Es ist ein hartes Geschäft,doch selbst an den übelsten Orten trifft man Menschen, die man mag.
    »Warum sind Sie hier?«, fragte sie.
    Bonilla trug Kleidung, die sie – in Ermangelung eines besseren Wortes – sperrig aussehen ließ. Ein aufmerksamer Beobachter konnte erkennen, dass sie eine zarte Figur hatte, aber damit kam ein Mädchen in ihrem Job nicht sehr weit. Sie trug ein dunkelgrünes Kostüm mit Schulterpolstern, mit denen sie aussah wie ein hoffnungsvoller Highschool-Footballer.
    »Ich habe einen Anruf erhalten«, sagte ich.
    »Von wem?«
    »Sie hat sich als Laura Brown vorgestellt.«
    Lügen gehört zum festen Repertoire eines Privatdetektivs, und ich ging sofort ganz in der Rolle auf. »Sie hat mir erzählt, sie suche dringend eine vermisste Person. Ich hab ihr meinen Tagessatz genannt, und sie sagte, sie würde ihn verdoppeln, wenn ich noch heute Abend hierherkommen könnte.«
    Links und rechts von mir standen Detectives in Zivil. Ich tat so, als wären sie Stehplatz-Passagiere in einem Waggon der U -Bahn-Linie A und wie ich auf dem Heimweg.
    »Wie hieß die Person, die Sie finden sollten?«
    »Das hat sie nicht gesagt, und ich habe nicht gefragt. Ich dachte mir, die Details besprechen wir, wenn ich hier bin.«
    Detective Bonilla durchbohrte mich mit ihren Latino-Augen. Mir fiel auf, dass sie ihre schwarze Mähne gestutzt hatte, entschied jedoch, dass dies nicht der passende Moment war, um über Frisuren zu reden.
    »Und was machen Sie hier?«, fragte sie
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