Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
ein schlechtes Gewissen?«
    Montag warf ihm rasch einen Blick zu.
    Beatty schaute ihn unverwandt an und begann dann zu lachen, ganz leise zu lachen.
     
    Sieben Tage. Und siebenmal kam er zum Haus heraus und Clarisse war da irgendwo auf der Welt. Einmal sah er sie einen Nußbaum schütteln, einmal sah er sie auf dem Rasen sitzen und an einem blauen Sweater stricken, drei- oder viermal fand er einen Strauß später Rosen vor seiner Haustür oder eine Handvoll Kastanien in einem Beutel oder etwas Herbstlaub, säuberlich auf ein weißes Blatt Papier geheftet und mit einer Zwecke an der Tür befestigt. Tag für Tag ging Clarisse mit ihm bis zu der Ecke. Am einen Tag regnete es, am nächsten war es klar, am übernächsten wehte ein heftiger Wind, darauf kam ein stiller, milder Tag, und nach diesem stillen Tag kam eine sommerliche Hitze, und Clarisse war gegen Abend ganz sonnverbrannt im Gesicht.
    »Woher kommt es«, fragte er einmal am Eingang zur Untergrundbahn, »daß ich das Gefühl habe, dich schon seit Jahren zu kennen?«
    »Weil ich Sie gern habe«, erwiderte Clarisse, »und weil ich nichts von Ihnen will. Und weil wir uns kennen.«
    »Du machst, daß ich mir uralt vorkomme und ganz väterlich.«
    »Nun erklären Sie mir noch«, sagte sie, »warum Sie selber keine Töchter haben, wo Sie doch so kinderlieb sind.«
    »Weiß ich auch nicht.«
    »Nein, im Ernst.«
    »Ich meine ...« Er stockte und schüttelte den Kopf.
    »Nun, meine Frau, sie – sie wollte eben überhaupt keine Kinder.«
    Das Mädchen lächelte nicht mehr. »Verzeihen Sie. Ich dachte wirklich, Sie machen sich lustig über mich. Wie dumm von mir.«
    »Nein, nein, es war eine gute Frage. Es ist schon lange her, daß jemand sich getrieben fühlte, danach zu fragen. Eine gute Frage.«
    »Reden wir von etwas anderem. Haben Sie je an altem Laub geschnuppert? Riecht es nicht wie Zimt? Hier, riechen Sie mal.«
    »Doch, ja, es erinnert tatsächlich an Zimt.«
    Das Mädchen sah ihn mit seinen klaren, dunklen Augen an. »Sie scheinen immer befremdet.«
    »Es ist nur, weil ich keine Zeit gehabt habe ...«
    »Haben Sie sich die verlängerten Reklametafeln angesehen, von denen ich Ihnen erzählte?«
    »Ich glaube ja. Doch.« Er mußte lachen.
    »Ihr Lachen klingt viel hübscher als früher.«
    »Wirklich?«
    »Weniger verkrampft.«
    Er fühlte sich ganz unbefangen und behaglich. »Warum bist du nicht in der Schule? Täglich sehe ich dich umherstreifen.«
    »Ach, man vermißt mich nicht. Es heißt, ich sei ungesellig. Merkwürdigerweise. In Wirklichkeit bin ich höchst gesellig. Es kommt nur darauf an, was man unter Geselligkeit versteht. Mich mit Ihnen über dergleichen unterhalten, rechne ich zum Beispiel zur Geselligkeit.« Clarisse klapperte mit ein paar Kastanien, die sie vor dem Haus aufgehoben hatte. »Oder darüber, wie seltsam die Welt ist. Es ist hübsch, mit Leuten zusammen zu sein. Aber eine Anzahl Leute zusammentrommeln und sie dann nicht reden lassen, das kann man doch nicht Geselligkeit nennen. Eine Fernsehstunde, eine Stunde Korbball oder Schlagball oder Wettlaufen, eine Stunde Diktat oder Bildermalen, und dann wieder Turnen, aber wissen Sie, wir kommen nie dazu, Fragen zu stellen, oder jedenfalls die wenigsten von uns, man wirft uns einfach die Antworten hin, ping ping ping, und wir sitzen wieder einmal vier Stunden lang da vor einem Filmlehrer. Das hat doch mit Geselligkeit nichts zu tun. Man trichtert uns eine Menge ein, schüttet Wasser in den Trichter, unten läuft es wieder aus, und dann behauptet man noch, es sei Wein. Bis der Tag zu Ende ist, sind wir so erledigt, daß uns nichts anderes übrigbleibt, als zu Bett zu gehen oder auf einen Rummelplatz, um Leute zu belästigen, Fenster einzuwerfen in der Scheibenschmeißerbude oder Autos zu zertrümmern in der Autozertrümmerungshalle mit der großen Stahlkugel. Oder mit dem Auto durch die Straßen zu rasen, um zu sehen, wie scharf man an Laternenpfählen vorbeiflitzen kann, oder zickzack zu fahren oder Radkappen zu rammen. Es stimmt wahrscheinlich doch, was man von mir sagt. Ich habe keine Freunde oder Freundinnen. Damit ist angeblich bewiesen, daß ich nicht normal bin. Aber alle, die ich kenne, ziehen lärmend und tanzend herum oder liefern sich Schlägereien. Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie gewalttätig die Leute heutzutage sind?«
    »Du redest, als seist du weiß Gott wie alt.«
    »Manchmal bin ich uralt. Ich habe Angst vor meinen Altersgenossen. Sie bringen einander um. War das schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher