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Fächergrün

Fächergrün

Titel: Fächergrün
Autoren: B Leix
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er wusste nicht wohin, er bediente Gas und Bremse, den Rest machte die Automatik des großen, schwarzen Wagens.
    Felder, Wald, Häuser, Fabriken, alles glitt an ihm vorüber – keine Ahnung, was das werden sollte.
    Nicht einmal das Radio war an. Lindt wurde ganz zum Fahrer, verschmolz mit der S-Klasse, reagierte vollautomatisch, fuhr und fuhr und fuhr … in einen herrlichen Freitagmittag.
    Ein einsamer Parkplatz am Rhein, Schatten unter großen Pappeln, alle Fenster auf, Lehne nach unten, Kopf zurück, Augen halb geschlossen – aaah. Durch das Schiebedach sah er nur grün. Pappelblätter, schaukelnd im Wind, ein Viereck voller Grün, sanft in Bewegung, wohlig dämmerte er hinweg.
    Die Tür, die Treppe, die Wände, alles grün. Er stand oben, schaute hinab, kein Ende zu sehen, Stufen über Stufen, grün gestrichen. Ein grüner Schlund, offen, endlos. Er bewegte sich nicht, tat keinen Schritt. Trotzdem glitt er nach unten. Aufrecht stehend, dennoch schwebend, ein kühler Hauch zog ihm entgegen.
    Ewig, es dauerte ewig, es nahm kein Ende, Stufe für Stufe, ohne zu berühren. Immer dasselbe Bild, immer dasselbe Licht, immer dasselbe Grün.
    Er war kein Teil dieser Treppe, aber sie sog ihn ein. Langsam, stetig, unerbittlich, gierig.
    Lindt riss die Augen auf. Wieder einer seiner Träume. Nur ohne Ende. Merkwürdig, er hatte sich nicht unwohl gefühlt.
    Aufschreiben! Ja, Aufschreiben half. Das schmale Schulheft in seiner Gesäßtasche trug er immer bei sich. Will der Keller mich wiedersehen? Noch einmal? Ein weiteres Mal? Ruft er mich? Weshalb? Sein Geheimnis ist entdeckt. Die grüne Haut ist aufgebrochen, zerrissen, zermeißelt, zerhämmert, zerstört.
    Lindt stieg aus, ging ein paar Schritte, um sich zu strecken, lehnte sich an den Kühlergrill, schaute auf den Rhein. Gebirgsflüsse waren manchmal grün. Der hier eher dunkel. Schwarz wie sein Wagen.
    Schwarz wie der Tod.
    Die S-Klasse bog nach Osten, kreuzte die Autobahn, kam auf die B 3, heimwärts, Bruchsal, Weingarten, Durlach, Durlacher Allee, Oststadt, Lachnerstraße. Das Ziel.
    Zehn Minuten saß er im Auto, ohne sich zu rühren. Das grüne Tor gegenüber, langsam ging er hin. Der Hof, die Stahltür, die Treppe, der Keller. Lediglich ganz schwach, der Geruch. Schwach, aber da. Lindt hielt stand.
    Die Farbe im vorderen Teil war zerkratzt, zerrissen, von Maschinen, von Geräten, von Werkzeugen, von Stiefeln. Hinten alles grau. Rauer, grober Beton. So weit abgetragen, dass die 14 Körperformen nicht mehr zu erkennen waren. Nur noch eine kleine Stufe, auf die er steigen musste. Durfte er seinen Fuß überhaupt …?«
    Lindt wagte es nicht. Er blieb auf der grünen Farbe stehen, betrat das Gräberfeld nicht. Die Schuhspitzen stießen an. Hart. Hart wie Beton.
    Etwas war da, etwas, was da nicht hingehörte, etwas aus Nicht-Beton. Ganz klein, kleiner als ein Daumennagel, klein und schwarz ragte es aus dem Zementgrau heraus.
    Er bückte sich, um genauer zu sehen. Schwarze Folie, er fasste sie an, nahm sie zwischen die Fingerspitzen, zog daran – nein, sie dehnte sich, gab nach wie … wie Gummi?
    Lindt richtete sich wieder auf, überlegte. Was konnte das sein? Wieso war es hier drin? Wieso steckte es fest? Ein Abfallteilchen, das in den Beton gefallen war? Hier, genau hier, wo die Varese gelegen hatte. Calabrone, die letzte der Leichen.
    Sein Schweizer Taschenmesser hatte eine ausklappbare Lupe. Lindt ließ sich schwerfällig auf die Knie fallen und betrachtete den kleinen schwarzen Fetzen in der Vergrößerung. »Wenn ich wissen will, wie das im Beton weitergeht, gibt es nur einen Weg«, sagte er zu sich. Er stemmte sich wieder hoch und ging nach oben.
    Hammer und Meißel, Brille und Handschuhe fand er schnell. Zurück im Keller, machte sich der Kommissar ans Werk. Vorsichtig setzte er das Werkzeug an. Machte kleine Schläge, trug minimale Betonbrösel ab, immer darauf bedacht, das schwarze Etwas nicht zu beschädigen.
    Lindt wurde zum Steinmetz, nein, eher zum Archäologen. Nach einer halben Stunde hatte er es geschafft, die Fläche eines Fünfeuroscheins freizulegen. Er nahm das flache Gummi wieder zwischen seine Fingerspitzen – klar, das war … das konnte nur …
    Er war sich sicher und griff nach dem Handy. »Ludwig, du kennst den Weg. … Nein, diesmal
reicht ein Team. … Frag nicht so viel und komm!«
     
    Willms missmutige Miene wechselte schlagartig, als er erblickte, weshalb der Kommissar ihn zum vierten Mal an denselben Ort bestellt hatte.
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