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Exodus

Titel: Exodus
Autoren: Leon Uris
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plötzlich wußten sie es alle.
    »Karen!« rief Kitty. »Wo ist Karen?«
    Ari ließ den Kopf sinken.
    »Wo ist Karen?«
    »Sie ist tot. Sie wurde gestern nacht von einer Fedayin-Bande ermordet.«
    Kitty schrie auf und sank zu Boden.
    Als Kitty die Augen wieder aufschlug, sah sie Sutherland und Jordana, die bleich und vor Kummer wie betäubt bei ihr knieten.
    Kitty richtete sich langsam auf und erhob sich mühsam.
    »Legen Sie sich wieder hin, bitte«, sagte Sutherland.
    »Nein«, sagte Kitty, »nein.« Sie machte sich von Sutherland los.
    »Ich muß zu Dov. Ich muß zu ihm.«
    Mit unsicher schwankenden Schritten ging sie hinaus und fand Dov, der im Zimmer nebenan in einer Ecke hockte. Sie stürzte zu ihm, und nahm ihn in die Arme.
    »Dov, mein armer Dov«, sagte sie weinend.
    Dov vergrub sein Haupt an ihrer Brust und schluchzte verzweifelt. Kitty wiegte ihn in ihren Armen, und sie weinten miteinander, bis sich die Dunkelheit über das Haus der Familie Ben Kanaan senkte und keiner mehr Tränen hatte.
    »Ich bleibe bei dir, Dov«, sagte Kitty. »Ich bin für dich da. Wir werden es schon schaffen, Dov.«
    Dov erhob sich unsicher. »Es wird mich nicht umschmeißen, Kitty«, sagte er. »Ich mache weiter. Sie soll stolz auf mich sein.«
    »Dov, ich bitte dich — werde jetzt nicht wieder so, wie du früher warst.«
    »Nein«, sagte er. »Ich habe darüber nachgedacht. Ich kann diesen Menschen gegenüber keinen Haß empfinden, weil Karen es nicht konnte. Sie war nicht imstande, irgendeinem Lebewesen gegenüber Haß zu empfinden. Wir — hat sie mir einmal gesagt, wir könnten unser Ziel nie erreichen, wenn wir die anderen haßten.«
    Sara ben Kanaan erschien in der Tür. »Ich weiß, wie schwer uns allen ums Herz ist«, sagte sie. »Aber wir wollen deshalb doch mit dem Seder beginnen.«
    Kitty sah Dov an, und Dov nickte.
    Schweigend, in Trauer begaben sie sich zum Eßzimmer. Vor der Tür nahm Jordana Kitty beiseite.
    »Ari sitzt allein draußen in der Scheune«, sagte sie. »Willst du nicht zu ihm gehen?«
    Kitty ging nach draußen. Sie sah, wie aus den Fenstern der Häuser der Lichtschein fiel. Überall hatte die Seder-Feier begonnen. In diesem Augenblick erzählten ringsum die Väter ihren Familien die jahrtausendealte Geschichte vom Auszug der Kinder Israels, wie sie seit jeher von den Oberhäuptern der Familie erzählt worden war, und wie sie auch in alle Zukunft erzählt werden würde.
    Es begann zu nieseln, und Kitty ging rascher auf den flackernden Lichtschein zu, der aus der Scheune fiel. Ari saß, mit dem Rücken zu ihr, auf einem Heubündel. Sie ging zu ihm hin und legte ihm die Hand von hinten auf die Schulter.
    »Ari, wir wollen mit dem Seder anfangen.«
    Er wandte den Kopf, hob den Blick, und Kitty wich einen Schritt zurück, so sehr erschrak sie, als sie Aris Gesicht sah, in dem sich eine Qual spiegelte, wie sie sie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Ari sah sie an, doch er schien sie kaum zu erkennen. Er wandte sich wieder ab, verbarg das Gesicht in den Händen und ließ die Schultern sinken.
    »Ari — es ist Zeit für den Seder.«
    »Mein Leben lang — mein ganzes Leben lang — habe ich mit ansehen müssen, wie man sie umgebracht hat, die ich liebe — einen nach dem andern — alle.«
    Die Worte kamen aus der abgründigen Tiefe einer grenzenlosen Verzweiflung. Kitty war erschüttert und erschreckt. Dieser Mann, der von tiefer Qual geschüttelt wurde, war ihr unbekannt.
    »Ich bin mit ihnen gestorben. Tausend Tode bin ich gestorben. Und jetzt bin ich innerlich leer — und allein.«
    »Ari — Ari —.«
    »Warum müssen wir halbe Kinder dazu verurteilen, an solchen Orten zu leben? Ich verstehe nichts mehr! — Dieses wunderbare Mädchen — dieser Engel — warum — warum mußte auch sie umgebracht werden?«
    Ari erhob sich mühsam und unsicher. Alle Energie, alle Kraft und Selbstbeherrschung hatten ihn verlassen. Dieser Mann, das war nicht Ari ben Kanaan, das war ein müdes, zerschlagenes Wrack.
    »Warum müssen wir kämpfen um das Recht zu leben — immer wieder, jeden Tag von neuem?«
    Die Jahre der Spannung, die Jahre des Kampfes und des herzzerbrechenden Kummers schlugen wie eine Flut über ihm zusammen. Ari hob das schmerzerfüllte Gesicht zum Himmel auf und ballte die Hände zur Faust. »Warum, o Gott, warum läßt man uns nicht in Ruhe! Warum lassen uns die Menschen nicht leben!« Er ließ den Kopf auf die Brust sinken, stand da mit hängenden Schultern und zitterte.
    »O Ari«, rief
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