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EwigLeid

EwigLeid

Titel: EwigLeid
Autoren: Virna Depaul
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Deckung, zog ihre Waffe und rief: „Mach es nicht noch schlimmer. Komm mit erhobenen Händen raus.“
    „Verpiss dich, Miststück!“
    Doch im Heulen herannahender Polizeisirenen gingen die Worte des Kerls beinahe unter.
    „Hörst du das?“, schrie sie. „Die Cops sind auf dem Weg. Komm jetzt raus.“
    Er reagierte nicht gleich. Zu ihrer Überraschung trat er knapp eine Minute später aus dem Haus, eine Pistole in der Hand.
    Als er losrannte, hatte er im Dunkeln gestanden, und erst jetzt konnte sie sein Gesicht deutlich sehen. Er war noch ein Junge. Völlig überrascht zögerte sie einen Moment, bevor sie einen Schritt näher trat und die Waffe auf ihn richtete. „Wirf die Pistole …“
    Er erblickte sie und zielte.
    Gefahr! Verteidige dich. Schieß!
    Ihr Verstand drängte sie, abzudrücken, allerdings tat sie es nicht.
    Eine Sekunde lang zögerte sie.
    Er zielte.
    „Wirf …“, rief sie.
    Er drückte eine Sekunde vor ihr ab.
    Wie ein brennender Pfeil fuhr es in ihr Bein, das sofort einknickte. Sie stürzte zu Boden. Dann war er über ihr, schlug und trat sie, stieß ihre Waffe fort. Was dann folgte, war nichts als Schmerz. Doch in erster Linie war sie schockiert. Fassungslos.
    Sie hatte ihn verfehlt. Wie das? Sie verfehlte ihr Ziel nie. Aber sein Aussehen hatte sie überrumpelt …
    Er sah jung aus. So jung. Wie hatte er so skrupellos werden können? So stark?
    Doch trotz der Schmerzen und ihrer wirren Gedanken hörte sie nicht auf zu kämpfen. Sich zu wehren. Zu verletzen. Bis es ihr gelang, ihre Waffe in die Finger zu bekommen. In dem Moment, in dem er seine hob und wieder auf sie zielte.
    Noch ein Schuss.
    Ihr Angreifer brach über ihr zusammen, presste die Luft aus ihrem Körper, bevor sie ihn von sich stoßen und davonkriechen konnte.
    Mit starrem Blick verfolgte sie, wie sich sogleich eine rote Lache unter seinem Körper ausbreitete.
    Sekundenlang war ihr schwindlig vor Erleichterung.
    Dann verwandelte sich die Erleichterung in Entsetzen.
    Sein Körper zuckte noch. Bewegte sich. Richtete sich zum Sitzen auf.
    Er schaute sie an.
    Hob seine Waffe und zielte genau zwischen ihre Augen.
    Grinste. Und schoss.
    Carrie erwachte und setzte sich im Bett auf. Ihr Herz hämmerte, sie war schweißgebadet. Gehetzt blickte sie sich um, hielt Ausschau nach Anzeichen von Gefahr. Sie sah nur die antike Kommode ihrer Großmutter. Einige Aquarelle. Gerahmte Fotos auf ihrem Nachttisch.
    Die vertraute Umgebung hatte keinen beruhigenden Einfluss auf sie.
    Panik breitete sich mit der Macht eines Tornados in jeder einzelnen Nervenzelleaus. Schwarze Punkte flirrten vor ihren Augen und verschwammen miteinander. Ihr wurde schwindlig.
    Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung, auf das Wiederholen der an sie selbst gerichteten Worte, die sie mit Lana, einem Mitglied der Abteilung des Justizministeriums für Verhaltensforschung und Psychiatrie, erarbeitet hatte.
    Sie war in Sicherheit. Sie war wohlauf. Es war nur ein Traum. Sie war wohlauf.
    Als das keine Wirkung zeigte, stellte sie sich vor, einen Ballon aufzublasen. Ihn mit ihrem Schmerz zu füllen. Bis er davonschwebte. Bis sie leer war.
    Endlich schlug ihr Herz wieder normal. Carrie lehnte sich zurück, zog die Decke bis ans Kinn und schaute nach draußen in den dunklen Himmel.
    An Schlaf war nicht mehr zu denken, und so schlug Carrie schließlich die Decke zurück. Plötzlich glaubte sie zu ersticken, fühlte sich wie in einer Falle. Sie streckte alle viere von sich, um das Gefühl abzuschütteln.
    Carrie stand auf und tapste in die Küche, weil sie sich Kaffee kochen wollte. Während sie wartete, dass er durchlief, lehnte sie sich an den Tresen, verschränkte die Arme vor der Brust und rieb sich die kalten Oberarme. Sie wäre gern wieder ins Bett gekrochen, um sich unter der warmen Decke zu verstecken, allerdings konnte sie es nicht.
    Ihr Blick fiel auf die Kühlschranktür und das Blatt Papier, das sie dort befestigt hatte. Eine Kinderzeichnung, vor Jahren von Kevin Porter gemalt. Seine Großmutter hatte ihr die Zeichnung geschickt, zusammen mit einer Notiz, die Carrie für die Tötung ihres geliebten Enkels verantwortlich machte. Sie hätte alles zu den Beweismitteln legen sollen. Stattdessen betrachtete sie das Bild jeden Morgen und jeden Abend, bevor sie zu Bett ging.
    Carrie schloss die Augen und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Kein Wunder, dass sie unter Albträumen litt. Herrgott, sie war dermaßen verdreht.
    Sie hatte keine andere
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