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Ewiger Schlaf: Thriller

Ewiger Schlaf: Thriller

Titel: Ewiger Schlaf: Thriller
Autoren: Greg Iles
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unverwechselbare Persönlichkeit, die im Laufe der Jahre noch stärker würde. Aber sie brauchte immer noch Hilfe. Sie war in mancher Hinsicht noch so zerbrechlich ...
    Jetzt war Lily auf der Brücke und fuhr die Steigung hinauf, näherte sich dem Scheitelpunkt. Sie umklammerte das Steuer, und ihr Herz war angefüllt mit der Liebe zu ihrer Tochter. Diese Liebe wärmte ihren ganzen Körper – umso erschreckender war es, als das Heck des Lkws wie eine Fata Morgana vor ihr in der Luft flackerte und sich ein Schatten über das Sonnenlicht legte. Mit der Dunkelheit kam eine Flut von Bösartigkeit aus ihrem tiefsten Innern, wie ein Tumor, der mit irrwitziger Geschwindigkeit Metastasen bildet und rasend schnell ihren Geist schluckte.
    »Nein!«, schrie sie und schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad. »Hör auf!« Der Schmerz in ihren Händen hielt sie kurzfristig in der Realität fest, doch die Dunkelheit wuchs weiter. »Das kannst du nicht tun! Du kannst nicht ...«
    Sie konnte den Wagen kaum auf der richtigen Spur halten. Der Verzweiflung nahe, ließ sie ihre Gedanken zurück in ihre Kindheit wandern, um nach irgendeiner Waffe zu suchen, die sie schützen konnte. Sie war nicht mehr in die Kirche gegangen, nachdem sie ihr Baby verloren hatte, aber jetzt strömten die Worte nur so aus ihrem Mund, bildeten sich beinahe ohne ihr Zutun:
    »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele ... er ... ja ... ja, und ob ich schon wanderte im finsteren Tal ... fürchte ich kein Unglück ... kein Unglück ... Er erquicket meine Seele ... erquicket meine Seele!«
    Als die Tränen ungehindert strömten, erschien plötzlich blauer Himmel in ihrem Blickfeld, und Straße und Brücke tauchten wieder vor ihr auf. Jedes Detail ihrer Umgebung brannte sich in ihr Gehirn ein: die Teeroberfläche der Straße, das schmutzige Gesicht des Mädchens hinten im Lieferwagen, die Nieten, die den silbernen Überbau der Brücke zusammenhielten, der Arbeiter, der an einem der Stahlträger auf der rechten Seite hing. Er trug ein rotes Tuch unter seinem Helm und sah Lily mit freundlichem Gesichtsausdruck direkt in die Augen. Als Lily seinen Blick erwiderte, schien die Zeit sich zu verlangsamen – und in diesem zeitlosen Raum hatte sie die einzige Vision ihres Lebens.
    Sie verstand jetzt, warum sie getan hatte, was sie getan hatte, seit sie Mallory an diesem Morgen anrief. Es war so einfach. Ihr Blick schweifte von dem Arbeiter auf die Straße, und im gleichen Moment hob das kleine Mädchen hinten im Lieferwagen die Hand und winkte.
    Lily winkte zurück.
    Leb wohl, Kleine.
    Sie tastete unter dem Sitz nach den Handschellen und fesselte rasch ihr linkes Handgelenk ans Steuerrad. Dann riss sie die Lenkung nach rechts und trat das Gaspedal durch.
    Mit knapp hundert Stundenkilometern raste der Acura durch die provisorische Leitplanke und wurde in die Luft katapultiert. Der Aufprall aktivierte den Airbag, der in Lilys Gesicht platzte und ihr für die Dauer des Sturzes die Sicht raubte. Ihr Magen flog in ihre Kehle, ihr Innenohr verlor jegliche Orientierung, und sie schwebte durch die Luft wie ein Astronaut in einem fensterlosen Raumschiff, erfüllt von Glückseligkeit, von einem süßen Frieden, der nichts mehr von der Welt erbat, als ihr auf Wiedersehen zu sagen.
    Mit einem explosionsartigen Aufprall, der ihren Kopf auf die Lehne hinter ihr schleuderte, wurde sie zurück in die Welt geschmettert. Sie konnte weder atmen noch sehen; ihre einzige Wahrnehmung war die seltsame Schwerelosigkeit des Autos, das im Wasser auf und ab wippte. Dann hörte sie ein schwappendes Geräusch.
    Meine Füße sind nass ...
    Der Acura hatte sich aufgerichtet. Hoch über ihr hing die Unterseite der Brücke, dann wurde sie allmählich kleiner, als die kräftige Strömung sie in Richtung Süden trug und das Auto um die eigene Achse wirbelte, wobei es sich langsam mit Wasser füllte. Teilnahmslos blickte sie auf ihr Handgelenk in den Handschellen – es schien zu einer anderen Person zu gehören. Dann hörte sie einen Schrei voller panischer Angst und wildem Zorn, und sie blickte aus dem Auto, um zu hören, woher dieser Schrei kam. Erst als er ein zweites Mal erklang, begriff sie, dass er aus ihrem eigenen Mund gekommen war.
    Ihre Arme schlugen plötzlich wild um sich, und das Handgelenk zerrte an der Stahlkette der Handschelle und versuchte sich loszureißen. Lily fühlte sich, als
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