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Evolution

Evolution

Titel: Evolution
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ein Primate ist. Dieser kleine Zahn ist vielleicht
alles, was von deinem und meinem fernsten Vorfahren noch übrig
ist – vom fernsten Vorfahren aller lebenden Menschen –, und
der Schimpansen und Gorillas und Lemuren und…«
    Und so weiter. Halt der übliche Vortrag der großen
Professorin Useb. Im Alter von dreizehn Jahren hatte Joan sich viel
mehr für spektakuläre Dinosaurierschädel interessiert
als für solche Mäusezähne. Trotzdem war er ihr im
Gedächtnis haften geblieben. Und letztendlich hatten solche
Momente ihr Leben geprägt.
    »… Darum geht es also bei der Konferenz, Bex«,
sagte Alyce. »Es handelt sich um eine Synthese. Wir wollen alle
uns vorliegenden Erkenntnisse über die Herkunft von uns Menschen
bündeln. Wir wollen die Geschichte der Menschheit erzählen.
Weil wir uns nämlich entscheiden müssen, wie wir die
Zukunft gestalten. Unser Thema ist ›Die Globalisierung der
Empathie‹…«
    Das stimmte. Der eigentliche Zweck der Konferenz, der nur Joan,
Alyce und ein paar engen Kollegen bekannt war, bestand in der
Gründung einer neuen Bewegung und der Etablierung eines neuen
Bewusstseins. Ein neuer Ansatz, der vielleicht geeignet war, das von
Menschen herbeigeführte Auslöschungs-Ereignis
abzuwenden.
    Bex zuckte die Achseln. »Glauben Sie, jemand würde auf
ein paar Wissenschaftler hören? Ich will Ihnen ja nicht zu nahe
treten. Aber das hat bisher niemand getan.«
    Joan lächelte gezwungen. »Schon gut. Aber wir werden es
trotzdem versuchen. Irgendjemand muss es schließlich
tun.«
    »Und der ganze andere Kram – Ihre Archäologie
– spielt keine Rolle mehr?«
    Joan runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
    Bex hielt sich die Hände vor den Mund. »Ich hätte
gar nichts sagen sollen. Meine Mutter wird ausflippen.« Aber
ihre marsroten Augen strahlten.
    Alyce hatte sich wieder in sich selbst zurückgezogen; sie
schaute aus dem Fenster auf die Rauchsäulen der tausend
Kilometer entfernten Waldbrände.
    Angenommen, ich würde dich durch die Schichten in der Zeit
zurückführen, hatte Joans Mutter zu ihr gesagt. Schon nach hunderttausend Jahren würdest du diese schöne
hohe Stirn verlieren. Die Beine für den aufrechten Gang
wären nach drei bis vier Millionen Jahren verschwunden. Nach
fünfundzwanzig Millionen Jahren würde dir wieder ein
Schwanz wachsen. Nach fünfunddreißig Millionen Jahren
würdest du die letzten Menschenaffen-Merkmale verlieren, zum
Beispiel die Zähne. Danach wärst du ein Affe, Kind. Und
dann würdest du ständig schrumpfen. Vierzig Millionen Jahre
in der Vergangenheit würdest du wie ein Lemur aussehen. Und
zuletzt…
    Zuletzt wäre sie ein kleines rattenartiges Ding, das sich vor
den Dinosauriern versteckte.
    Manchmal hatte sie im Freien schlafen dürfen, in der
kühlen Luft der Badlands. Der Himmel über Montana war weit
und mit Sternen übersät. Die Milchstraße, die
Seitenansicht einer riesigen Spiralgalaxie, zog sich wie eine
Straße durch die Nacht. Sie legte sich auf den Rücken und
schaute zum Himmel hinauf. Dann stellte sie sich vor, dass die
steinige Erde verschwunden wäre, mitsamt der Fracht aus
Fossilien und allem Drum und Dran, und dass sie im Raum trieb. Sie
fragte sich, ob dieses kleine Purgatorius-Wesen den gleichen
Himmel gesehen hatte. Ob die Sterne seit fünfundsechzig
Millionen Jahren ihre Bahn am Himmel zogen? Ob die Galaxis sich wie
ein großes Wagenrad in der Nacht drehte…?
    Doch heute Nacht, sagte sie sich, würde der Rauch des Vulkans
die Sterne ausblenden.

 
     
     
EINS

     
     
     
     
     
VORFAHREN

 
KAPITEL 1

DINOSAURIERTRÄUME
     
    Montana, Nordamerika,
vor ca. 65 Millionen Jahren

     
I
     
     
    Purga kroch aus einem Farndickicht am Rand der Lichtung. Es war
Nacht, aber trotzdem hell – nicht etwa wegen des Monds, sondern
wegen des Kometen, dessen spektakulärer Schweif sich durch den
wolkenlosen Himmel zog und alle außer den hellsten Sternen
ausblendete.
    Dieses Wäldchen stand in einer breiten Tiefebene zwischen den
Vulkanen im Westen – den Bergen, die sich zu den Rocky Mountains
auffalten würden – und der Ebene der Appalachen im Osten.
Heute Nacht war die feuchte Luft klar. Oft zogen aber von Süden
Dunst und Nebelschwaden heran. Sie bildeten sich über dem
großen Binnenmeer, das noch immer tief ins Herz Nordamerikas
vorstieß. Der Wald wurde von Pflanzen beherrscht, die
Feuchtigkeit aus der Luft aufzunehmen vermochten: Flechten bedeckten
die schuppige Rinde der Araukarien, und sogar an den
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