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Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht

Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht

Titel: Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
Autoren: Alyson Noël
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hinaussieht.
    Sie ist groß für ihr Alter und schlank und hat schmale Schultern. Glänzende dunkle Haut und lange, schlaksige Gliedmaßen, die meterlang zu sein scheinen, bis sie in einem Paar dünner Knöchel enden, die aus dem Saum ihres einfachen Kattunkleids hervorsehen. Einem Kleidungsstück, das so viel getragen wurde, dass es offenbar wieder und wieder geflickt werden musste. Doch es ist sauber und gebügelt, und auch sie selbst ist sauber und gepflegt, denn obwohl ich sie nur im Profil sehe, da sie sich zur Seite gewandt hat, erkenne ich, dass ihr das lange, dunkle Haar in einer komplizierten Abfolge von Knoten und Zöpfen über den Rücken fällt.
    Doch erst als sie sich umdreht, und zwar so, dass ich ihr Gesicht
deutlich sehen kann und ihr direkt in die tiefbraunen Augen sehe, begreife ich …
    Ich sehe mich selbst an!
    Ich schnappe nach Luft – so laut, dass es von den gerundeten weißen Marmorwänden widerhallt –, während ich in ein junges und schönes Gesicht sehe, das jedoch weit über ihre/meine Jahre hinaus betrübt ist. Und einen Moment später, als ein wesentlich älterer, weißer Mann erscheint, wird mir die Bedeutung des Ganzen schlagartig klar.
    Er ist der Herr. Ich bin seine Sklavin. Und hier ist keine Zeit für Tagträume.
    »Ever, bitte«, fleht Damen mich an. »Gib mir die Fernbedienung, jetzt gleich, bevor du etwas siehst, was du bereuen wirst – etwas, was du nie wieder aus deinem Gedächtnis wirst löschen können.«
    Doch ich gebe sie ihm nicht.
    Das kann ich nicht.
    Ich muss einfach zusehen, wie dieser fremde Mann, den ich aus keinem meiner Leben kenne, sie – mich – nur wegen des Traums von einem besseren Leben genüsslich verprügelt.
    Ich bin nicht dort, um zu hoffen oder zu träumen oder dergleichen. Ich bin nicht dort, um mir weit entfernte Orte auszumalen oder eine Liebe, die mich retten wird.
    Es gibt keine Rettung für mich.
    Keinen besseren Ort.
    Es wird keine Liebe kommen.
    So lebe ich – und so sterbe ich.
    Für mich und meinesgleichen ist die Freiheit nicht vorgesehen.
    Und je eher ich mich damit abfinde, desto besser, erklärt er mir und bekräftigt es mit jedem Hieb seiner Peitsche.
    »Warum hast du mir das nie erzählt?«, flüstere ich fast
unhörbar. Völlig perplex von den Bildern vor mir verfolge ich, wie ich mit schrecklicher Härte geschlagen werde. Jeden einzelnen Hieb nehme ich hin, fast ohne mit der Wimper zu zucken, mit unerschütterlichem Schweigen und einer Würde, die ich entschlossen aufrechterhalte.
    »Wie du siehst, ist es keines deiner romantischen Leben«, sagt Damen, dessen Stimme vor Mitgefühl ganz heiser klingt. »Teile davon – wie der Ausschnitt, den du gerade siehst – sind extrem unerfreulich, und ich bin noch nicht dazu gekommen, das hier zu korrigieren oder in irgendeiner Form zu bearbeiten. Einzig und allein aus dem Grund habe ich es dir bisher vorenthalten. Doch sobald ich das erledigt habe, verspreche ich dir, dass ich es dich sehen lasse. Ob du es glaubst oder nicht, es gab auch glückliche Momente. Es war nicht immer so. Aber Ever, bitte tu dir selbst den Gefallen und schalte es ab, ehe es noch schlimmer wird.«
    »Es wird noch schlimmer ?« Ich drehe mich um und habe Tränen in den Augen wegen des hilflosen Mädchens, das ich vor mir sehe – des Mädchens, das ich einmal war.
    Er nickt nur, angelt die Fernbedienung unter dem Kissen hervor und schaltet aus. Und dann sitzen wir beide da, erschüttert von den grauenhaften Szenen, die wir soeben gesehen haben. Entschlossen, das lastende Schweigen zu brechen, frage ich: »Und meine anderen Leben – all die Szenen, die wir gern immer wieder ansehen – sind die auch bearbeitet?«
    Er sieht mich an, seine Brauen sind besorgt zusammengezogen. »Ja. Ich dachte, das hätte ich dir schon beim ersten Mal erklärt, als wir hier waren. Ich wollte nie, dass du etwas so Verstörendes wie das hier siehst. Es ist sinnlos, traumatische Ereignisse, die wir nicht ändern können, noch mal zu durchleben.«

    Ich schüttele den Kopf und schließe die Augen, doch das kann die brutalen Bilder nicht stoppen, die weiterhin in meinem Geist ablaufen. »Irgendwie war mir nicht klar, dass du derjenige warst, der es bearbeitet hat. Ich dachte, der Ort macht es irgendwie – als würde das Sommerland nicht gestatten, dass etwas Schlimmes einfließt – oder etwas …«
    Ich verstumme und lasse den unvollendeten Satz einfach so stehen. Ich muss an den dunklen, verregneten, gruseligen Teil denken, auf den ich
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