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Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)

Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)

Titel: Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
Autoren: Youya Lo
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lokalisieren. Er biss die Zähne zusammen. Wer auch immer der
Drahtzieher war, er war klug genug, sich fernzuhalten.
     
    Mendez warf soeben einen Blick auf seine Armbanduhr. Stundenlanger
Nieselregen hatte sein Haar und seine Kleidung durchnässt. Rinnsale flossen
entlang der Straßengräben und plätscherten die Gullys hinab.
    „Guten Abend.“ Daniel zwang sich zu lächeln. „Wartest
du auf mich?“
    Sein Kontaktmann fuhr herum.
    „Miller! Was soll der Scheiß, wo warst du? Die Sache muss
heute Nacht durchgezogen werden, also versau das nicht, Mann.“
    „Sei unbesorgt.“
    Daniel konnte die Schritte weicher Schuhsolen bereits
hören. Sie näherten sich von der nahe gelegenen Metrostation, verlangsamten
konstant ihre Geschwindigkeit und kamen schließlich wie erwartet zum
Stillstand. Wie immer war es das Geräusch eines metallischen Klirrens, das nach
einer Pause ein Weitergehen ankündigte.
    Der Zeitspanne nach zu urteilen, die zwischen Stille
und Metallklirren lag, war es sein Zielobjekt, das Engelskind, das wie gewohnt
unter einer Straßenlaterne hinter der Ecke gestanden und nach dem Hausschlüssel
gesucht hatte; Nika, die sterbliche Tochter seines alten Weggefährten Julian.
    Sie brauchte immer gleich lange. Zu lange. Und sogar
Mendez hätte sie mittlerweile bemerken müssen, wenngleich ausgestattet mit
erbärmlich mageren Fähigkeiten, die kaum noch als übersinnlich zu bezeichnen
waren. Offensichtlich wog die Verantwortung einer Operation wie dieser zu
schwer auf seinen Schultern. Sein Kiefer knirschte vor Anspannung. Er funkelte
Daniel wütend an.
    „Ein Glück, dass du die Braut nicht schon verpasst
hast, Alter. Der Chef hat gesagt, sie kommt immer gegen ein Uhr zurück. Es ist
gleich eins!“
    „Und ich bin hier.“
    „Klugscheißer.“
    Wieder lächelte Daniel, und diesmal fiel ihm das sogar
leicht. Mendez zu täuschen würde ein Kinderspiel werden, und nicht nur, weil
die verunreinigte, vermenschlichte Essenz, mit der der Strohkopf umgewandelt
worden war, nichts anderes zuließ.
    Daniel begann, Mendez´ Wahrnehmung zu verschatten. Nur
solange, bis Nika in die Straße einbog, die Treppenstufen zur Haustür hochlief,
aufschloss und, nachdem sie das dritte Stockwerk erreicht hatte, in ihrem
Apartment verschwand. Dann ließ Daniel das Licht im Treppenhaus erlöschen und
gab den Verstand seines vermeintlichen Spießgesellen wieder frei. Mendez
blinzelte kurz und sah sich hastig um.
    „Jetzt steh hier nicht rum, Miller. Sie wird jeden
Moment aufkreuzen, also mach dich klar, Mann.“
    „Ich bin ja dabei.“ Wieder drang Daniel in das Bewusstsein
des Anderen. Diesmal nistete er Nikas Bild hinein. Er ließ Mendez sehen, dass
sie die Straße heraufkam und vor der observierten Haustür stehen bleib, fast
genauso, wie es sich ein paar Sekunden zuvor tatsächlich ereignet hatte. Nur,
dass Daniel dem sterblichen Engelskind in Wirklichkeit keinesfalls auch nur ein
Haar krümmen würde.
    Mendez´ Herzfrequenz erhöhte sich. Schweißperlen
bildeten sich auf seiner Stirn, als er zu beobachten glaubte, wie Daniel an
Nika herantrat, sie packte, ein Messer aufblitzen ließ und es in ihren Hals
stieß, bevor auch nur ein Schrei die Stille durchbrach.
     
    Aber DanielsHerzfrequenz
beschleunigte sich ebenfalls, denn sein Auftritt war noch nicht beendet. Nur
für den Bruchteil einer Sekunde teleportierte er in die Wohnung, in der der
bewusstlose Körper der Flugbegleiterin lag. Er hob ihn hoch und kehrte damit an
den Ort zurück, der faktisch erst in Kürze ein Tatort werden würde.
Gleichzeitig löste er die Materie der Vorhänge an den Fenstern der nun wieder
verlassenen Wohnung auf und ließ den Staub verwirbeln.
    Mendez hatte Daniels Verschwinden nicht bemerkt. Kaum
jemand hätte das vermocht. Und immer noch spürte Daniel keine unerwartete oder
fremde Präsenz in der Umgebung. Sein Auftraggeber war also tatsächlich nicht
erschienen, was bedeutete, dass Daniel keine Wahl blieb.
    Er ließ Sophie, die er sein Opfer zu werden auserkoren
hatte, auf die oberste Stufe vor dem Hauseingang gleiten und ging vor ihr auf
die Knie, um Mendez die Sicht zu versperren. Er atmete durch. Er hatte noch nie,
niemals jemanden getötet. Nicht ein einziges, lebendes Wesen in 116 Jahren.
Jetzt war es soweit.
    Er musste das wiederholen, was er in Mendez´
manipulierter Beobachtung bereits getan hatte. Doch diesmal mit Sophie. Und für
sie materialisierte Daniel ein ganz reales Küchenmesser in seiner Hand.

Drei
     
    Mittwoch, 02.
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