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Es tut sich was im Paradies

Es tut sich was im Paradies

Titel: Es tut sich was im Paradies
Autoren: Mary Scott
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es damals höllisch weh getan hatte. James schob die sentimentale Regung energisch von sich und beendete seine Toilette, denn er war zum Abendessen mit einem berühmten ausländischen Juristen verabredet.
    Gerade als er fortgehen wollte, rief Pippa an.
    »Oh, James, mir fiel noch etwas ein, was ich dir zu deinem Vorschlag von heute morgen sagen wollte.«
    James fuhr der Schreck in die Glieder.
    »Ich meine, zu deinem Heiratsantrag«, sprach sie weiter. »Du erinnerst dich doch, nicht wahr?«
    Erinnern? Das konnte auch nur sie fragen! Er brachte mit Mühe einen unartikulierten Laut aus der Kehle, aber sie wartete keine Antwort ab: »Es wäre mir fürchterlich, wenn du glaubtest, ich hätte dich nicht verstanden. Ich weiß sehr gut, daß du es nur aus Hilfsbereitschaft getan hast und weil du Mitleid mit mir fühlst, aber das brauchst du wirklich nicht.«
    Diesen leisen, trotzigen Unterton in ihrer Stimme kannte er aus Erfahrung, aber diesmal wollte es ihm nicht gelingen, ihre Tapferkeit zu bewundern. Worauf wollte sie hinaus? War es möglich, daß sie ihre Meinung geändert hatte? Er zog nervös sein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn, aber schon redete sie wieder: »Bitte denk nicht, daß ich auch nur eine Sekunde annahm, du tätest es wegen meines Geldes.«
    James, der bereits genug Scherereien mit seiner eigenen Einkommensteuer hatte, holte tief Luft und bemühte sich, eine passende Antwort zu finden. Schließlich stotterte er hilflos: »Das — ja — ich danke dir, meine Liebe«, und sie plapperte eifrig weiter: »Übrigens, das Gedicht. Ich fand es tatsächlich in dem Buch von Browning. Es ist gar nicht so überspannt, wenn man erst versteht, was er damit ausdrücken will. Weißt du, dieses Mädchen übt auf alle, die ihr begegnen, einen Einfluß aus, auf Bischöfe und Verliebte und alle möglichen Leute. Nur weil sie eben da ist. Das muß es gewesen sein, was Mr. Murdoch meinte.«
    »Wieso meinte er das, Pippa? Ich bin nämlich zum Abendessen verabredet.«
    »Na, ja, er wollte, daß ich dasselbe tue, und siehst du, in einer Leihbücherei hat man doch haufenweise Gelegenheit, Gutes zu tun, Menschen zu helfen und so, das wird mir einen Riesenspaß machen.«
    Aber James sagte gar nichts. Sie hörte nur einen schwachen, gurgelnden Laut als Antwort. Als er den Hörer aufgelegt hatte, brummte er für sich: »Von einem namhaften Wissenschaftler hätte man wahrhaftig etwas mehr gesunden Menschenverstand erwarten können. Der wird sich noch im Grabe umdrehen, wenn er sieht, was sie alles anstellt.«
    Womit James größere seelische Einfühlungsgabe bewies als Pippa.
     
     

2
     
    »Geh aaus, mein Herz und su-hu-che-e Freud«, schmetterte Pippa mit der vollen Kraft ihrer gesunden Lungen in die morgendliche Stille. Nur schade, daß sie überhaupt nicht singen konnte. Allen Anstrengungen zum Trotz brachte sie nur ein paar unzusammenhängende falsche Töne heraus, deren sie sich selbst schämte. Deshalb betätigte sie ihre Stimme auch nur, wenn sie allein war — und allein war sie jetzt. Endlich.
    Ein schwer mit Flaschen und Kannen beladener Milchmann blieb stehen und grinste ihr zu. Pippa lächelte strahlend zurück. Sie war eben unverbesserlich herzlich, wie James Maclean tadelnd zu bemerken pflegte. Inzwischen hatte sie schon einem Lastwagenfahrer, zwei Verkehrsschupos und einem müde heimwärts wandernden Reporter fröhlich zugewinkt.
    Aber ihre überschwengliche Freude war vollauf gerechtfertigt, denn heute begann für Pippa ein neues Leben. Ein herrliches Leben in Freiheit, und nicht nur für einen Tag lang wie bei Brownings Pippa. In loser Anlehnung an das Gedicht zitierte sie laut: »Der junge Tag erwacht, die siebente Stunde naht — «, aber das stimmte nicht, stellte sie mit Befriedigung fest. Es war erst knapp sechs Uhr.
    Die letzten vierundzwanzig Stunden waren nicht so ungetrübt verlaufen. Sie hatte die meiste Zeit damit zugebracht, zwar einerseits mit Trauer im Herzen, aber andererseits auch mit großer Umsicht und Entschlossenheit, ihre zwölfhundert Bücher aus der Bibliothek des alten Gelehrten auszuwählen, ständig unter den kalt beobachtenden Blicken einer feindseligen Nichte, die sich kaum die Mühe nahm, ihre Absicht zu bemänteln — diese kleine, selbstbewußte Sekretärin sollte die ihr zustehende Anzahl von Büchern haben, aber nicht ein einziges mehr.
    »Eine seltsame Auswahl«, bemerkte sie spitz, als sie mit pedantischer Genauigkeit die Stapel kontrollierte. »Man sollte es kaum
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