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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir
Autoren: Robert Silverberg
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Als die Kugel zusammengesetzt war, gab David sie dem Psychiater zurück. »Möchtest du sie gern behalten?« fragte Hittner.
    »Ich brauche sie nicht«, antwortete David, steckte sie dann aber doch ein.
    Anschließend spielten sie noch andere Spiele. Zum Beispiel das mit den kleinen Karten, auf denen Tiere, Vögel, Bäume und Häuser abgebildet waren. David sollte sie so hinlegen, daß sie eine fortlaufende Geschichte erzählten, und dem Doktor die Geschichte erklären. Er warf sie wahllos durcheinander und dachte sich eine Geschichte aus, die er der zufälligen Reihenfolge anpaßte. »Die Ente geht in den Wald, da trifft sie einen Wolf, aber sie verwandelt sich in einen Frosch und springt über den Wolf direkt in das Maul eines Elefanten, aber sie kommt durch den Rüssel des Elefanten wieder raus und fällt in einen Teich, und als sie rauskommt, sieht sie die hübsche Prinzessin, die zu ihr sagt, komm mit nach Hause, ich gebe dir Honigkuchen, aber sie liest ihre Gedanken und merkt, daß die Prinzessin eigentlich eine böse Hexe ist, die…«
    Bei einem anderen Spiel gab es Papierblätter mit dicken, blauen Tintenklecksen. »An was denkst du, wenn du diese Kleckse siehst? Kannst du irgendwelche Dinge erkennen?« fragte der Doktor. »Natürlich«, antwortete David, »das hier ist ein Elefant, siehst du? Da ist sein Schwanz, aber ganz krumm, und das ist sein Rüssel, und damit macht er Pipi.« Er hatte gemerkt, daß Dr. Hittner interessiert aufhorchte, wenn er von Pipi oder Pimmel sprach, also machte er ihm das Vergnügen und entdeckte in jedem Tintenklecks derartige Dinge. David kam dieses Spiel ziemlich albern vor, Dr. Hittner fand es anscheinend aber wichtig, denn er machte sich über alles, was David sagte, eifrig Notizen. Während er schrieb, untersuchte David Dr. Hittners Gedanken. Die meisten Wörter, die er aufnahm, verstand er nicht, einige aber kannte er, zum Beispiel die Erwachsenenausdrücke für die menschlichen Körperteile, die David von seiner Mutter gelernt hatte: Penis, Vulva, Gesäß, Rectum, und so weiter. Dr. Hittner schien diese Wörter besonders zu mögen, deshalb fing David an, sie zu gebrauchen. »Das ist ein Adler, der ein Lämmchen packt und damit wegfliegt. Das ist der Penis des Adlers, hier unten, und da drüben ist das Rectum des Lämmchens. Und da, das nächste, das sind ein Mann und eine Frau, die sind alle beide nackt, und der Mann versucht, seinen Penis in die Vulva der Frau zu stecken, aber er paßt nicht, und…« David sah die Feder des Füllers nur so über das Papier fliegen. Er grinste Dr. Hittner an und nahm das nächste Blatt.
    Dann spielten sie Wortspiele. Der Doktor sagte ein Wort, und David mußte darauf das erstbeste Wort antworten, das ihm in den Sinn kam. David fand es jedoch weit lustiger, das erstbeste Wort zu sagen, das Dr. Hittner einfiel. Er brauchte nur einen Sekundenbruchteil, um es in Hittners Gedanken zu lesen, und der Doktor schien davon keine Ahnung zu haben. Das Spiel ging so:
    »Vater.«
    »Penis.«
    »Mutter.«
    »Bett.«
    »Baby.«
    »Tot.«
    »Wasser.«
    »Bauch.«
    »Tunnel.«
    »Schaufel.«
    »Sarg.«
    »Mutter.«
    Ob das die richtigen Wörter waren? Wer gewann überhaupt bei diesem Spiel? Warum war Dr. Hittner plötzlich so aufgeregt?
    Endlich hörten sie auf zu spielen und unterhielten sich nur noch. »Du bist ein sehr gescheiter kleiner Junge«, sagte Dr. Hittner. »Das darf ich dir sagen, ohne dich zu überheblich zu machen, denn das weißt du ja bereits. Was möchtest du denn tun, wenn du mal groß bist?«
    »Gar nichts.«
    » Gar nichts? «
    »Ich möchte nur spielen, viele, viele Bücher lesen und schwimmen gehen.«
    »Aber wie willst du Geld verdienen?«
    »Das kriege ich von den Leuten, wenn ich es brauche.«
    »Na, wenn du weißt, wie man das macht, dann verrate mir bitte das Geheimnis«, sagte der Doktor. »Gehst du eigentlich gern in die Schule?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil die Lehrer immer so streng sind. Und weil der Unterricht langweilig ist. Und weil die anderen Kinder mich nicht mögen.«
    »Weißt du denn, warum sie dich nicht mögen?«
    »Weil ich klüger bin als sie«, antwortete David. »Weil ich…« Hoppla! Beinahe hätte er gesagt: Weil ich ihre Gedanken lesen kann. Aber das durfte er nicht sagen. Niemandem. Dr. Hittner wartete darauf, daß er den Satz beendete. »Weil ich soviele Dummheiten mache.«
    »Und warum tust du das?«
    »Weiß ich nicht. Vielleicht, damit es nicht so langweilig ist.«
    »Wenn du nicht soviel
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