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Erzählung

Erzählung

Titel: Erzählung
Autoren: Gabriel Marcel
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nun einen Kurs nach Westnordwesten ein. Der bisher ziemlich starke Wind gestaltete sich am Abend des 4. Mai zum Sturme. Die Wellen wuchsen dabei so sehr an, daß das Boot zwischen ihnen vollständig verschwand. Mit jedem Augenblicke steigerte sich die Gefahr. Durchnäßt und durchkältet, hatten die Unglücklichen an diesem Tage zur Stärkung nichts Anderes als eine Tasse Thee mit Rum und das Viertel einer halbverfaulten Brotfrucht.
    Am nächsten Morgen, sowie während der folgenden Tage trat keinerlei Aenderung ein. Das Boot glitt zwischen zahllosen Inseln und Eilanden dahin, von welchen da und dort Piroguen nach demselben abstießen.
    Wollten sie es verfolgen oder versuchten sie nur, Tauschhandel zu treiben? Im Zweifel darüber wäre es unklug gewesen, anzuhalten. Mit Hilfe ihrer von günstigem Winde geschwellten Segel ließ die Schaluppe jene auch bald weit hinter sich zurück.
    Am 9. Mai brach ein furchtbares Gewitter los. Blitz und Donner folgten sich ohne Unterlaß. Der Regen stürzte in solchen Strömen herab, daß auch die heftigsten Gewitter unserer Klimate davon keine Vorstellung zu geben vermögen. An ein Trocknen der Kleidungsstücke war lange Zeit gar nicht zu denken. Da kam Bligh darauf, dieselben in’s Meer zu tauchen und dadurch mit Salz zu tränken, um der Haut wieder etwas von der durch den Regen entzogenen Wärme wiederzugeben. Jedenfalls ersparten diese Platzregen, welche dem Kapitän und seinen Begleitern so vieles Ungemach verursachten, ihnen doch eine andere schrecklichere Qual, nämlich die des brennenden Durstes, den die unausstehliche Hitze gewiß schnell hervorgerufen hätte.
    Am 17. Mai, dem Morgen nach einem furchtbaren Unwetter, singen aber doch Alle zu klagen an.
    »Wir werden unmöglich genug bei Kräften bleiben, um Neu-Holland zu erreichen, jammerten Alle einstimmig. Durchnäßt vom Regen und von Anstrengungen erschöpft, finden wir ja keinen Augenblick Ruhe. Werden Sie jetzt, Kapitän, wo wir schon halb Hungers sterben, nicht die Rationen vergrößern? Was schadet es, wenn unsere Vorräthe zu Ende gehen? In Neu-Holland werden wir sie ja leicht ersetzen können!
    – Nein, dem kann ich nicht zustimmen, erwiderte Bligh, das hieße als Thoren zu handeln. Wie, jetzt nach Zurücklegung kaum der Hälfte des Weges nach Australien, seid Ihr schon muthlos? Glaubt Ihr denn, auf der Küste Neu-Hollands so leicht Lebensmittel zu finden? Da kennt Ihr Land und Leute dort nur schlecht!«
    In kurzen Zügen schilderte Bligh darauf die Natur des Bodens, die Sitten der Eingebornen und die geringe Aussicht auf wohlwollenden Empfang seitens derselben, Alles nach eigenen Erfahrungen von seinen Erdumsegelungen mit Kapitän Cook her darstellend. Noch einmal gaben sich seine beklagenswerthen Leidensgefährten zufrieden und schwiegen still.
    Während der folgenden vierzehn Tage blieb es klarer Sonnenschein, bei dem man wenigstens die Kleider trocknen konnte. Am 27. fuhr das Boot durch den Riffgürtel an der Ostseite Neu-Hollands. Hinter dieser madreporischen Kette lag das Meer ruhig und einige Inselgruppen ergötzten das Auge mit ihrer exotischen Pflanzenpracht.
    Mit großer Vorsicht ging man an’s Ufer. Hier zeigten sich keine anderen Spuren von einem Aufenthalte Eingeborner, als alte Feuerstellen. Endlich winkte also eine ruhige Nacht auf festem Lande.
    Aber essen, essen wollte Jeder. Glücklicher Weise entdeckte einer der Matrosen eine Austernbank. Das war einmal ein Schmaus.
    Am folgenden Tage fand Bligh in der Schaluppe noch ein Vergrößerungsglas, einen Feuerstahl und Schwefelfaden. Jetzt konnte man also auch Feuer entzünden, um Wild oder Fische zu kochen.
    Der Befehlshaber trennte nun seine Leute in drei Abtheilungen; die eine sollte das Fahrzeug in gutem Stande erhalten, die beiden anderen aber zur Aufsuchung von Nahrungsmitteln ausziehen. Mehrere Leute beklagten sich darüber jedoch sehr bitter und wollten lieber das Essen entbehren, als sich in das Land hineinwagen.
    Einer derselben, ein heftigerer und rücksichtsloserer Mensch als seine Kameraden, verging sich sogar noch weiter.
    »Ein Mann gilt so viel wie der Andere, sagte er zu dem Kapitän, und ich sehe nicht ein, warum Sie immer hier bleiben sollen, um der Ruhe zu pflegen; wenn Sie Hunger haben, so suchen Sie sich selbst etwas zu essen. Für die Arbeit, die Sie hier verrichten, will ich gern Ihre Stelle vertreten!«
    Bligh, der sich sagte, daß jede Anwandlung von neuer Meuterei im Keime erstickt werden müsse, ergriff sein Seitengewehr,
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