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Ernten und Sterben (German Edition)

Ernten und Sterben (German Edition)

Titel: Ernten und Sterben (German Edition)
Autoren: Peter M Hetzel
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war: »Bis auf Weiteres geschlossen!«.
    Mit seinem Mobiltelefon kam er auch nicht weiter, denn bei allen Nummern lief entweder der analoge Anrufbeantworter oder die digitale Mobilbox. Egon-Erwin stellte sich auf eine lange Wartezeit ein.
    Mit Einsetzen der Dämmerung packten die Kamerateams ihr Equipment zusammen, nicht zuletzt weil alle Vorhänge zugezogen waren und eine Polizeistreife darauf achtete, dass sich niemand unbefugt Zugang zu einem der Grundstücke verschaffte. Auch die Reporter der lokalen und nationalen Boulevardpresse hatten sich in die Pensionen und Landhotels der näheren Umgebung zurückgezogen. Nun waren alle Vorteile aufseiten des ortskundigen Egon-Erwin, dem das Jagdfieber den Adrenalinspiegel in die Höhe trieb.
    Er stieg in seinen unauffälligen Mittelklassewagen, um das Grundstück von Albertine von Krakow sozusagen durch den Hintereingang zu betreten. Dazu musste er einen Umweg fahren, der an einem Rapsfeld endete, das wiederum an einen Wald grenzte. Egon-Erwin nutzte das Unterholz, bis er in Sichtweite der beiden uralten, aber fachkundig renovierten Wohnhäuser der Verdächtigen kam. Mittlerweile verschluckte die Dämmerung alle Konturen, sodass sein suchender Blick durchs Fernglas auch keine neuen Einsichten bot. Im Schutz der Dunkelheit schlich er sich an und schoss ausgiebig Fotos des Geländes. Allerdings war er selten so ratlos gewesen wie heute. Seine Aufnahmen bewiesen nur, dass er sich eingeschlichen hatte, sie würden ihm nichts als Ärger mit der Polizei bringen. Direkt zitieren konnte er die Verdächtigen auch nicht, falls sie denn überhaupt verdächtig waren. Mittlerweile hatte die Polizei eine Presserklärung herausgegeben, die in knappen Worten keinerlei Informationen bot. Er hatte das Dokument von der Redaktion der Landeszeitung direkt auf sein Smartphone geschickt bekommen. Blieben ihm also nur die Handynummern des Antiquars Hubertus Müller.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte Egon-Erwin und drückte die Wahlwiederholungstaste, als die erste Kugel neben ihm ins Gebüsch fetzte. Egon-Erwin warf sich zu Boden. Keine Sekunde zu spät. Das zweite und dritte Geschoss ließ neben ihm Erde aufspritzen. Der Schütze verwendete offensichtlich einen Schalldämpfer, der auch den Mündungsblitz deutlich reduzierte. Und der Kugelhagel nahm kein Ende.
    Nach ungefähr dreißig Schuss trat für einen kurzen Moment absolute Stille ein. Ein metallisches Geräusch verriet, dass der Sniper nachlud. Eine Heckler & Koch, schoss es Egon-Erwin durch den Kopf, der bei der Bundeswehr so manches erlebt hatte. Er entschied sich für die Hasenfußtaktik und rannte Haken schlagend quer übers offene Feld direkt auf Albertine von Krakows Haus zu. Immer wieder schlugen Kugeln neben ihm ein. Er kam sich wie ein Hase auf einer Treibjagd vor. Aber mit jedem Meter, den er an Boden gewann, wurden die Einschläge weniger, bis er keuchend am Holzzaun stand, der die Grundstücksgrenze markierte.
    Der grelle Lichtkegel einer Taschenlampe erfasste ihn. Die Polizei patrouillierte wohl auch an der hinteren Grundstücksgrenze.
    Albertine hatte zunächst versucht, die Zeit mit Scrabble totzuschlagen, doch Hubertus langweilte sie mit seiner ständigen Besserwisserei. Dann wollte er ihr aus dem Buch »Wie soll ich leben? Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten« vorlesen.
    Aber Clementine hatte vehement Einspruch erhoben, denn lieber wollte sie ungestört ihren Splatter-Krimi lesen. Sie war im Haus geblieben, weil es doch dem einen oder anderen Reporter gelungen war, die Terrasse zu entern. Aber dank ihrer imposanten Erscheinung und unterstützt von einem ellenlangen Allzweckmesser namens »San-Toku«, das sie wie ein Schwert führte, sowie schrill ausgestoßenen »Banzai!«-Rufen konnte die Haushälterin sämtliche Invasoren in die Flucht schlagen. Sogar die patrouillierenden Polizisten übten sich in vornehmer Zurückhaltung. Da nur Albertine einen wandfüllenden TV -Flachbildschirm besaß, wollte Hubertus die Gunst der Stunde nutzen, um sich auf RTL II »Berlin Tag und Nacht« anzusehen. Nach nicht einmal dreißig Sekunden zog Clementine den Stecker, und Albertine kündigte an, sich nun ins Bett zurückziehen zu wollen.
    »Und wo schlafe ich?«, fragte Hubertus ein wenig empört.
    »Auf der Couch, auf der du gerade sitzt. Kopfkissen und Decke werden dir gleich gebracht. Gute Nacht«, erwiderte Albertine unterkühlt. Die Notlüge wegen des Alibis hatte sie Hubertus immer noch nicht verziehen.
    Just
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