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Ernten und Sterben (German Edition)

Ernten und Sterben (German Edition)

Titel: Ernten und Sterben (German Edition)
Autoren: Peter M Hetzel
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aus Terrakotta lagen zwei sehr kurze Stumpen und etliche Streichhölzer. Zweifelsohne ein Indiz dafür, dass er es dann doch eilig gehabt hatte, in sein Bett zu kommen. Die Nächte im April waren noch kühl, und die Luft hatte einen letzten Rest Feuchtigkeit gespeichert.
    Albertine hatte es nicht eilig, zum Radieschenbeet zu kommen. Der Tod hatte im Laufe der Jahre für sie an Schrecken verloren und war professionellem Gleichmut gewichen. Dennoch spürte sie einen tief sitzenden Groll. Dieser ungehobelte Kerl hatte ihren Garten entweiht, dieses geniale Gesamtkunstwerk, in das sie ihre gesamte Freizeit investierte. Die Pflanzen würden kläglich eingehen und sich alle in einen morbiden Garten verwandeln wie der in Frances Burnetts Roman.
    Schließlich gewann doch ihre Neugier Oberhand, und Albertine stapfte ohne Rücksicht auf die Frühlingszwiebeln auf dem kürzesten Weg zum Radieschenbeet. Dort lag der Anzugträger auf seinem Bauch, die Arme eng an den Oberkörper gelegt, dessen Ende ein großer Eichenzweig zierte. Albertine schwante nichts Gutes, als sie sich vorbeugte.
    Denn was dem Arrangement fehlte, war der Kopf. Sie schlug die rechte Hand vor den Mund, unterdrückte einen Aufschrei und drehte sich zur Seite. Ein Rabe erhob sich vom Komposthaufen in die Luft, während die übrige Vogelwelt pietätvoll schwieg. Jetzt nur keine falschen Fährten legen, schoss es Albertine durch den Kopf. Als ihre gewohnte innere Ruhe allmählich wiederkehrte, suchte sie das Beet mit den Augen ab. Alles sah aus wie immer. Fast alles …
    Die Spuren im Beet wiesen nur zu deutlich den Weg zum Schädel. Der Täter hatte anscheinend eine Billigharke aus dem Baumarkt benutzt, während Albertine das Erdreich stets nur mit einem handgeschmiedeten Rechen einer bekannten Manufaktur bearbeitete.
    Was nun? Die Polizei rufen?
    Doch Albertine selbst könnte durchaus in der Bredouille stecken, da sich sämtliche Indizien gegen sie wenden ließen. Eine Leiche im Garten und kein Alibi. Am hinteren Ende des Beets lagen noch ihre Gartenhandschuhe, aber wo war nur die sündhaft teure Harke? Sie hatte sich vom ortsansässigen Schreiner eine auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmte wetterfeste Truhe anfertigen lassen, die hinter dem Komposthaufen stand. Dort bewahrte Albertine all ihre Gerätschaften für eine effektive und behutsame Gartenarbeit auf. Elektrogeräte wie Heckenscheren waren ihr genauso verhasst wie Laubsauger, die einen infernalischen Lärm veranstalteten. Die Gartenharke lag an ihrem Platz, genau wie der Hirschfänger mit Horngriff, den sie zur Hege und Pflege der Obstbäume benutzte. Allerdings war die extrem scharfe Klinge dick mit geronnenem Blut überzogen.
    »Jetzt ist aber Schluss mit lustig«, sagte Albertine laut zu sich selbst. In Gedanken zitierte sie noch ihren Lieblingsautor Walter Kempowski, ›Scheiße mit Reiße‹, da legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter. Wie vom Blitz getroffen zuckte sie zusammen. Instinktiv schnappte sie sich den Hirschfänger, wirbelte herum und hielt das Tatwerkzeug … Hubertus unter die Nase.
    Der nahm ihr den Hirschfänger mit einem geschickten Griff sofort aus der Hand.
    »Um Himmels willen! Erschreck mich doch bitte nicht zu Tode!«, stieß Albertine mit rauer Stimme hervor.
    »Eine Leiche mehr oder weniger macht den Kohl jetzt auch nicht fett«, erwiderte er.
    »Wie bitte? Hast du gestern zu tief ins Glas geguckt?«
    »Hätte ich mal besser gemacht. Aber jetzt weiß ich wenigstens, woher die rote Farbe bei der Roten Bete kommt.« Hubertus grinste über das ganze Gesicht.
    »Alter Zyniker«, erwiderte Albertine. »Bei dir liegt also auch eine Leiche im Beet?«
    »Und die schuldet mir noch eintausendneunhundertneunundneunzig Euro.«
    »Hast du deinen Exkunden etwa durchsucht? Das wird ja das reinste Schlachtfest für die Polizei. Motiv: Habgier. Tatwaffe: ein Hirschfänger, auf dem sich jetzt deine und meine DNA befindet. Ganz hervorragend! Dann können wir ja schon mal unsere Taschen packen und in die JVA Lüneburg umziehen. Da haben wir wenigstens einen unverbauten Blick auf den Marktplatz«, witzelte Albertine, obwohl ihr wenig nach Humor zumute war.
    Hubertus’ Gesicht glich einem großen Fragezeichen, offenbar fiel ihm keine schlagfertige Antwort mehr ein.
    »Wie isses nur zu fassen«, sagte Albertine, wohl wissend, dass ihr belesener Nachbar sofort antworten würde.
    »›Tadellöser & Wolff‹ vom unsterblichen Kempi«, sagte Hubertus auch prompt, verfiel aber gleich
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