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Ernten und Sterben (German Edition)

Ernten und Sterben (German Edition)

Titel: Ernten und Sterben (German Edition)
Autoren: Peter M Hetzel
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Notfälle. Ich könnte ja auf eine reine Privatpraxis umstellen, aber da würde mir der übliche Dorftratsch fehlen. Klein-Büchsen ist ja äußerst unterhaltsam. Wer hat mit wem, warum, wieso und weshalb. Bei exakt neunhundert Einwohnern ist der Unterhaltungswert schon beachtlich, wobei wir die neunhundert Kühe und sonstiges Viehzeug keinesfalls vergessen wollen. Und deshalb ziehe ich mich jetzt zurück und gehe zu Bett.« Albertine, die beim Reden in der Küche noch eine Flasche Rotwein entkorkt hatte, stellte diese neben den Deckchair.
    Hubertus hatte es sich bereits bequem gemacht und sich eine wärmende Wolldecke bis zum Kinn hochgezogen. Zwischen seinen Lippen klemmte eine mächtige Trinidad Fundadores, deren Glut im Halbdunkel der Terrasse wie ein mächtiger roter Punkt leuchtete. Die Stille wurde nur durch das Knistern des Tabaks unterbrochen, dessen feinwürziger Geruch sich auf der Terrasse verbreitete.
    Albertine kannte und liebte dieses Ritual. Leise schloss sie die beiden Flügeltüren und machte sich auf den Weg in den dritten Stock ihres liebevoll restaurierten Fachwerkhauses, das einst dem Bahnhofsvorsteher von Klein-Büchsen gehört hatte. Sie öffnete die Fenster ihres Schlafzimmers und schlüpfte in eines der Fürstenberg-Nachthemden, die sie dutzendweise von ihrer Mutter geerbt hatte. Kaum im Bett, machte sich eine wohlige Müdigkeit in ihrem Körper breit, und im Halbschlaf hörte sie noch vage, wie Hubertus unten auf der Terrasse den geistigen Genüssen frönte. Es dauerte nicht lange, und Albertine von Krakow war in einen traumlosen Schlaf hinübergedriftet.

zwei
    Der nächste Morgen begann wie ein Groschenheft-Klischee. Kaum war die Sonne aufgegangen, da meldete sich ein namenloser Hahn mit einem tierischen Weckruf. Vielleicht war es ja der notgeile Gockel von Bauer Schlüter.
    Schlaftrunken wankte Albertine ins Bad. Seltsame Bilder aus einem Traum hatten sich in ihrem Kopf festgesetzt. Sie war einsam und allein in einem Garten aufgewacht, in dem alles tot und abgestorben schien. Mit einem energischen Kopfschütteln befreite sie sich von dem Alptraum und bemerkte erfreut im Spiegel, dass sich in ihre blonden Locken noch kein graues Haar verirrt hatte. Vorsichtig beugte sie sich vor, und die Spitze ihrer Stupsnase berührte fast das Glas. Für eine Mittfünfzigerin besaß sie eine erstaunlich makellose Haut. Sanft massierte sie die Tagescreme in die Poren ihres Gesichts, und auch den Rest erledigte sie mit routiniertem Gleichmut. Ihrem mittelgroßen, wohlproportionierten Körper hatten Zeit und Schwerkraft noch nicht zu Leibe rücken können, und ihr breiter, sinnlicher Mund erinnerte entfernt an die Pop-Diva Anastacia. Zufrieden mit sich und ihrem aparten Äußeren, schlüpfte sie in einen mintgrünen Overall. Die frühe Morgenstunde wollte sie für ein wenig Gartenarbeit nutzen, bevor Clementine die Praxis vorbereitete und kurz darauf die Patienten das Wartezimmer bevölkerten.
    Es war genau halb sieben, als Albertine an ihr Schlafzimmerfenster trat. Erfüllt von einer tiefen inneren Ruhe, wanderte ihr Blick über das gepflegte Grün, das im Morgentau magisch und geheimnisvoll glitzerte. Ganz vorn befand sich der Naturteich, umgeben von zugewachsenen Sitzecken und der nach allen Seiten offenen Kräuterrotunde, einem Schmuckstück traditioneller Gartenkunst. Direkt dahinter lagen die profanen Beete mit den Nutzpflanzen und schließlich, nicht zu vergessen, der Komposthaufen.
    Nachdem Albertine wie an jedem Morgen ausgiebig ihre Hornbrille im klaren Tageslicht geputzt hatte, registrierte sie eine winzige Unregelmäßigkeit in diesem gärtnerischen Kleinod. Sie nahm die Brille ab und putzte sie erneut. Nichts veränderte sich an dem sich ihr bietenden Stillleben. Zwei Beine und ein Torso lagen reglos im rechten Winkel zum Beet mit den Radieschen.
    Hatte Hubertus womöglich nicht mehr den Weg nach Hause gefunden und stattdessen die Nacht im Freien verbracht? Aber der Mann im Beet wirkte deutlich kleiner als Albertines Nachbar, und sein Beinkleid wie auch die Schuhe passten eher zu einem Hedgefonds-Manager. Die Redewendung ›Das kommt mir spanisch vor‹ traf Albertines Stimmungslage exakt.
    Sie schlüpfte in ihre retrobraunen Gartenclogs mit dem schönen Sanitas und lief die Treppen hinunter zur Terrassentür, die noch verschlossen war. Hubertus hatte die Wolldecke sorgsam zusammengelegt und die Gläser unter den Deckchair zu dem improvisierten Aschenbecher geschoben. In dem kleinen Blumentopf
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