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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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bewegt ornamentierten Teppich umstanden. Lukas durfte gespannt sein, welcher von ihnen sich als Pauli entpuppen würde, hatte doch keiner auch nur annähernde Ähnlichkeit mit dem Bild, das er von dem alten Freund mitgebracht hatte.
    Wie möchte Pauli jetzt aussehen? Seinem Laden nach war er ein sogenannter Wohlstandsbürger geworden, das hieß, fix übers Klischee gepeilt: nicht mehr der schlanke, wendige Mann mit dem verschmitzten, geschnitzten Kopf und den dreisten Augen.
    Der dicke Mann, den die adrette Hilfe verständigte und der jetzt herüberkam, hatte selbst bei aller Phantasie mit einem wohlstandsdeformierten Pauli nichts gemeinsam. Diesen Mann kannte Lukas nicht.
    »Mensch, Lukas, altes Haus!« sagte der Mann.
    Bei einem solchen Wiedersehen betrifft der erste Schreck weniger den andern als einen selbst: Habe ich mich etwa auch so verändert? Doch schon bringt die Logik Trost: Wenn er dich sofort erkennt, kannst du dich nicht verändert haben. Lukas erwiderte den Gruß, sagte probeweise Pauli und loste damit in dem, was Zeit und Umstände aus diesem Pauli gemacht hatten, schweißtreibende Freude aus. Dann sprachen sie miteinander. Wie Schulkameraden. Sie begannen ihre Sätze mit »Weißt du noch?« Lukas redete sich zu:
    Sicher ist er glücklich, daß er so reich und umfangreich geworden ist. Vielleicht findet er, daß du dich zu wenig verändert hast und sagt sich: Lukas ist stehengeblieben.
    Beide gaben sie sich Mühe, die Welle wiederzufinden, auf der sie sich verstanden hatten, und klopften einander auf die Schulter, um so häufiger, je geringer dabei ihr Erfolg war.
    »Wie kann man nur in England leben? Ist doch wirtschaftlich vollkommen uninteressant«, befand Pauli, als sie auf die Gegenwart zu sprechen kamen. Von da an saß Lukas in einer Theatervorstellung und erlebte, wie sich ein alter Freund in einen ehemaligen Freund verwandelt.
    Uns trennt nicht nur der Brillant, den er am kleinen Finger hat, oder das Kokottenbett in Gold und Schleiflack, vor dem er steht, die ganze Pracht ringsum, durch drei Etagen, Maschinenausstoß an Renaissance, Barock, Rokoko, Empire, die Pfühle mit den kürbisgroßen Blumen und überall noch ein Schleifchen, ein Quästchen, Knöpfchen, Börtchen, Ringelchen, Rosettchen, oder ganz einfach Gold. In diesem Mekka der Neureichen muß es ja schon Parvenus der zweiten Generation übel werden! Und das Glockenspiel an der Ladentür klingt nicht nur vierstimmig, sondern auch vierstellig!
    Es hatte geklungen — Kundschaft. Neues von der alten Clique wußte der Ladenbesitzer ohnehin nicht zu berichten, kein Kontakt mehr, das Geschäft...
    »Laß dich nicht aufhalten, Pauli. Ich muß auch wieder weiter. War nett, dich zu sehen.«
    Und das war nicht einmal konventionell dahergelogen.
    Wie kann man sich so verändern? Liegt das am Land, am Lebensstil, den er verkauft? Fleiß ist schon eine schreckliche Gefahr! Belustigt und in seiner Sicht bestätigt, fuhr Lukas dem nächsten Wiedersehen entgegen. Der Taxifahrer, ein Einheimischer diesmal, erwies sich unaufgefordert als aufschlußreich: Der Mann übte Zeitkritik aus der Perspektive des oft bemühten Mannes auf der Straße, er sprach aus, was viele dachten. Dabei bediente er sich nicht etwa der gängigen Formulierungen, wie Lukas sie aus deutschen Zeitungen kannte, der Mann redete in historischen Wendungen und Ansichten, sprach von verjudeter Presse, entarteter Kunst, von Fremdarbeitergesindel, von Polizei, die zusehe statt zuzuschlagen, besonders bei der verkommenen Jugend, und daß überhaupt keine Zucht und Ordnung mehr herrsche, weil ein ganz bestimmter Österreicher fehlt, der hätte den Saustall auf Vordermann gebracht.
    Trotz seiner Bestürzung schwieg Lukas. Hier widersprechen, hieße weniger erfahren. Durch das, was der Mann sagte, sah er plötzlich Paulis Kundenkreis, die hartherzige, selbstzufriedene Edelhefe, die sich schmückt mit reaktionärem Kitsch. Erst beim Bezahlen gab er dem Mann eine Antwort, von der er hoffte, sie werde dämpfend wirken auf sein Mitteilungsbedürfnis Fahrgästen gegenüber.
    »Das war sehr interessant. Sie sind wohl Ostagent, müssen den Nazi spielen für die Propaganda?«

    Die Pappeln wären gewachsen. Sonst hatte sich auf den ersten Blick nichts verändert in der stillen Straße. Nicht einmal die Stille. Wie möchte Lilly aussehen? Noch mehr Damenporträt in Öl? Der lange Hals nicht mehr so gleichmäßig in der Füllung? Die Falten vielleicht schon in Umstellung von horizontal auf vertikal,
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