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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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nicht. Daß ich so sehe, ist mein Markenartikel.
    Berufsbezeichnungen fallen ihm ein: Animiermännchen, Wünschewecker, Verbraucherverführer, Bedürfniserfinder, Sexumsetzer und Industriekommissare, die den Leuten klarmachen, daß es im Leben allein auf Äußerlichkeiten ankommt. Wie die Innenseite dieser Haltung aussieht, wird aus den Gesichtern deutlich: Der Zwang, verkaufen zu müssen, um geborgen zu bleiben im Versorgungsuterus ihrer Firma, hat ein Erfolgsimage geprägt, hinter dem nicht Persönlichkeit steht, sondern nur die Millionen und Milliarden des Werks. Daher dieser Ernst, dieser Eifer, die Selbstsicherheit, mit der die manipulierten Manipulierter Spitzfindigkeiten ausbreiten, Vermutungen aufstellen, psychologisch begründen und Pläne entwickeln, wie dem längst gesättigten Verbraucher neuer Appetit zu entlocken sei, damit er sich weiter gewinnbringend überfresse.
    Und dieser Branche gehöre ich an! Glücklicherweise nur am Rande. Meine Geschichten haben mit dem Markenartikel, dem sie als Blickfang dienen, nichts zu tun. Ich fördere keine Zwangsweltanschauung, kein Magengeschwür, nur mein Männchen.
    Nach dreistündigem Markenopportunismus in blauer, rauchverschmutzter Luft drängte der Markentee vom Morgen. Danach ging er zur Zentrale und gab einer Telefonistin die Papierserviette mit den Nummern. Auch in den Polsterwänden der Kabine klebte Rauch, mehrere Sorten in mehreren Schichten, wie ihm schien. Das erste Gespräch wurde hereingegeben; aufgekratzt meldete sich Ihr Einrichtungshaus.
    Lukas kannte diese Stimmen, denen die Auskunft, der Chef sei gerade nicht zu sprechen, mit deutlichem Genuß von den Lippen perlt. »Ja?« meldete sich eine weibliche Stimme unter der anderen Nummer, ungeduldig und ärgerlich.
    Lilly! dachte er.
    »Lilly!« sagte er, »hier spricht Lukas.«
    Sekundenlang hörte er nur Stimmen im Hintergrund, Gäste zum Mittagessen vermutlich. Sie hatten immer Gäste gehabt, wenn Alfredo nicht auf Reisen war; er war also nicht auf Reisen.
    »Was für ein Lukas?«
    Im Hintergrund schrie jemand, andere schrien dagegen. Er wurde nicht verstanden, mußte sich erklären, wiederholen. Endlich Begreifen:
    »Ach Sie sind das? Jetzt kapier’ ich erst. Sie haben doch mal bei uns gewohnt. Ich bin Andrea.«
    Lukas sagte, er erinnere sich (noch bevor er sich erinnerte) und fragte nach den lieben Eltern.
    »Die sind im Augenblick nicht da. Wo sind Sie denn?« Es wurde noch lauter im Hintergrund; Andrea verstand ihn nicht mehr und fragte:
    »Kann ich Sie zurückrufen?«
    Die Stimme klang, als habe Lilly gefragt. Soweit sich Lukas ihrer Stimme zu erinnern glaubte. Laut und oft gab er Andrea die Nummer und fand eine halbe Stunde später eine Nachricht im Postfach: Müller-Passavants erwarteten ihn zum Tee. So gegen fünf.
    Die Männchen würden einander am Nachmittag nicht mehr viel zu sagen haben; das schwere Mittagessen in einem teuren Restaurant, wohin sie sich aufmachten, würde alle Kräfte für die Verdauungsarbeit beschlagnahmen. Wie kurzatmige Kleinkönige würden sie auf ihren Stühlen sitzen, rauchumwölkt, von Kalorien entstellt.
    Beides wollte sich Lukas ersparen. Ihn langweilte dieses Spesengemampfe, er kannte die Themen: Auto, Urlaub, Geld, Freundin, Witze. Unauffällig hatte er sich verabschiedet, in einem Schnellimbiß schnell in etwas gebissen und sich auf die Suche nach Paulis Laden gemacht, zu Fuß.
    Ein mittelalterlich-gemächliches Glockenspiel an der Tür gestaltete seinen Eintritt in Ihr Einrichtungshaus zum Einzug. Nicht nur das Glockenspiel. In diesen Laden zog jeder Kunde wie ein König ein, wie ein König von eigenen Gnaden. Schon auf den ersten Blick erschien alles außerordentlich prächtig, strotzte vor stolzesten Preisen, roch dafür weniger echt als neu. Doch um seinen Berufsblick, die Wahrnehmungen des Männchenmalers ging es ihm jetzt nicht. Lukas war aufgeregt und altgierig wie ein Archäologe, wenn sich in der Erde erste Umrisse des vermuteten Zeugen der Vergangenheit abzeichnen. Jetzt, gut vierundzwanzig Stunden nach seiner Abreise, freute es ihn, daß er sich aufgerafft hätte, den Vorausblick in eine noch schizophrenere Werbezukunft mit einem privaten Rückblick zu verbinden, nicht um in Gestrigem zu schwelgen, sondern den Reiz der Veränderung zu schmecken.
    Eine adrette Hilfe war ihm entgegengetreten und versprach, seinen Wunsch, den Chef zu sprechen, sofort zu erfüllen. Sie lief zu einer Gruppe von Männern, die mit entscheidungsschweren Mienen einen
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