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Erdbeermond: Roman (German Edition)

Erdbeermond: Roman (German Edition)

Titel: Erdbeermond: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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arbeitsameren Familien einen Gärtner hatten: Michael, einen schlecht gelaunten, knorrigen alten Mann, der nie etwas tat, außer Mum in die Eiseskälte rauszuholen, wo er ihr erklärte, warum er den Rasen nicht mähen konnte (»Das Ungeziefer kommt durch das gemähte Gras, und dann fällt es tot um.«). Oder warum er die Hecke nicht schneiden konnte (»Die Mauer braucht die Hecke als Stütze, Missus.«). Statt ihn fortzujagen, kaufte Mum ihm die teuersten Kekse, und Dad mähte mitten in der Nacht den Rasen, weil er sich nicht traute, ihn zu beschimpfen. Aber als Dad in den Ruhestand ging, hatten sie einen perfekten Grund, Michael nicht mehr kommen zu lassen. Was er nicht mit Anmut hingenommen hat. Unter großem Gemurmel über Amateure, die den Garten in kürzester Zeit zerstören würden, verließ er uns voller Groll und fand eine neue Beschäftigung bei den O’Mahoneys, wo er unsere Familie verunglimpfte und Mrs. O’Mahoney erzählte, er habe Mum einmal gesehen, wie sie gewaschenen Salat mit einem schmutzigen Geschirrtuch trocknete. Egal, er ist weg, und die Blumen, dank Dads Bemühungen, sind jetzt viel hübscher. Meine einzige Beschwerde ist, dass die Qualität der Kekse stark nachgelassen hat, seit Michael nicht mehr kommt. Aber man kann nicht alles haben, und diese Erkenntnis brachte mich auf ganz andere Gedanken, aber erst als das salzige Wasser meiner Tränen in meine Schnittwunden lief, bemerkte ich, dass ich weinte. Ich wollte wieder nach New York. In den letzten Tagen hatte ich daran gedacht. Ich hatte nicht nur darüber nachgedacht, sondern einen mächtigen Drang verspürt, und mir war plötzlich unverständlich, warum ich nicht schon längst gefahren war. Das Problem war nur, dass Mum und die anderen ausrasten würden, wenn ich es ihnen eröffnete. Ich konnte schon hören, was sie sagen würden – ich müsse in Dublin bleiben, da seien meine Wurzeln, da würde ich geliebt, da würde man »sich um mich kümmern«.
    Aber meine Familie »kümmert« sich nicht um einen wie andere, normalere Familien. In meiner Familie glaubt man, die Lösung für jedes Problem sei Schokolade.
    Als ich mir vorstellte, wie lang und laut sie protestieren würden, spürte ich einen Anflug von Panik: Ich musste wieder nach New York. Ich musste zu meiner Arbeit zurück. Zu meinen Freunden. Und obwohl ich das niemandem erzählen konnte, weil sie mir dann die Männer in den weißen Kitteln geschickt hätten, musste ich auch wieder zu Aidan.
    Ich machte die Augen zu und driftete davon, doch plötzlich, wie mit dem Knirschen einer Kupplung, stürzte ich in eine Erinnerung aus Lärm und Schmerz und Dunkelheit. Ich machte die Augen auf: Die Blumen waren immer noch hübsch, das Gras war noch grün, aber mein Herz klopfte heftig, und ich rang nach Atem.
    Das hatte in den letzten paar Tagen angefangen: Die Schmerzmittel wirkten nicht mehr gut so wie am Anfang. Sie ließen schneller nach, und in der weichen, warmen Decke, die sie über mich legten, entstanden scharfe Risse, und das Entsetzen flutete zurück wie Wasser durch einen geborstenen Damm.
    Ich erhob mich mühsam und ging ins Haus, wo ich Home and Away ansah, etwas zu Mittag aß (einen halben Käse-Scone, fünf Stückchen Satsuma, zwei Malteser und acht Tabletten), dann legte Mum mir wieder den Verband an, bevor ich zu meinem Spaziergang aufbrach. Das gefiel ihr am besten, wenn sie mit der Medizinerschere schnipselte und Watte und Pflaster zuschnitt, wie der Arzt es ihr gezeigt hatte. Schwester Walsh versorgt die Kranken. Oberschwester Walsh sogar. Ich schloss die Augen. Ihre Fingerspitzen auf meiner Stirn taten mir gut.
    »Die kleineren auf meiner Stirn fangen an zu jucken. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?«
    »Lass mal sehen.« Sie hob meinen Pony an, um besser sehen zu können. »Ja, die heilen gut«, sagte sie, als wüsste sie, wovon sie sprach. »Ich glaube, wir können den Verband da weglassen. Und von der am Kinn auch.« (Ein kreisrundes Stück Fleisch mitten auf meinem Kinn fehlte seit der Kathastrophe. Das würde sich als günstig erweisen, sollte ich mal Kirk Douglas nachmachen wollen.) »Aber nicht kratzen, Fräulein! Gesichtswunden werden heute so wunderbar versorgt«, sagte sie kenntnisreich und wiederholte, was der Arzt uns erklärt hatte. »Diese Klemmen sind viel besser als Stiche. Nur diese hier«, sagte sie und strich Desinfektionssalbe auf den tiefen, zackigen Schnitt, der über meine ganze rechte Wange lief, dann hielt sie inne, damit ich vor Schmerz
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