Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
Vom Netzwerk:
gefallenes Vogelkind und suchte nach Wärme, so dass ich immer unzufriedener und anspruchsvoller wurde, ohne jedoch zu wissen, was genau ich eigentlich wollte.
    In ihrer Ratlosigkeit, wie es diesem ständig quengelnden Kind endlich recht zu machen sei, wurden meine Eltern noch großzügiger mit mir. Ich hingegen bekam nie genug. Und so drehte sich der Kreislauf meiner falsch verstandenen Bedürfnisse und der falschen Bedürfnisbefriedigung endlos zur Spirale auf, in der wir einander immer mehr verloren, obwohl wir uns doch suchten und halten wollten.

    Wahrscheinlich hätte man mir irgendwann konsequent Grenzen setzen müssen, um mich glücklich zu machen. Genau das aber konnten meine Eltern nicht leisten. Meine Mutter hatte als Kind erfahren, wie es ist, mit harter Hand erzogen zu werden. Ihre Eltern waren strenggläubige Katholiken, für die die Angst vor Sünden, Schuld, Strafen und Höllenfeuer die Erziehungsmittel der Wahl waren. Fehler durfte meine Mutter als Kind nicht machen. Nur als tadelloses Kind wurde sie geliebt, und genau das wollte sie für mich nicht.
    Auch mein Vater stammte aus einem Elternhaus, in dem sein Vater als echter Patriarch für Zucht und Ordnung sorgte. Mit Gewalt und Misshandlungen wurde diese Vorstellung durchgesetzt.
    Deshalb hatten meine beiden Eltern sich geschworen, derartige Fehler als Mutter und Vater nicht zu begehen. Sie wollten mich mit Liebe und Geduld erziehen. Wie sie das allerdings umsetzen konnten, wussten sie nicht. Also ließen sie mich in der Hoffnung gewähren, dass sich meine guten Anlagen von selbst entwickeln und durchsetzen würden.
    Dass sie mich dabei in einem Maße losließen, das ich nicht verkraften konnte, und dass ich dies später so deutete, als wäre ich ihnen gänzlich egal, merkten sie nicht. Sie wollten mein Bestes und gaben ihr Bestes. Dafür liebe ich sie.

Sehnsucht nach Geborgenheit

    Auf Familienfotos sieht man mich als reizendes »Schwarzwälder Maidle« mit einem großen »Schlupf«, einer Schleife im Haar und Lackschühchen an den weiß bestrumpften Füßen. Meist sitze ich auf dem Arm von Vater oder Tante, während meine Mutter leidend in einem Sessel lehnt und sich damit begnügt, mich anzulächeln oder ein wenig zu streicheln. Tief verwurzelt ist die Erinnerung an das Glücksgefühl, das mich als Dreijährige erfasste, wenn sie mich in den Arm nahm oder küsste. Ihre Lippen waren kühl und fest und weich zugleich. Ein wonniges Gefühl.
    Trotz meiner Eigensinnigkeit wurde ich ohne Zweifel von Mutter, Vater, Tante und allen anderen näheren Verwandten geliebt und mit allem versorgt, was ein Kind braucht. Wie jedes andere gesunde kleine Wesen lernte ich laufen und sprechen, doch keiner kümmerte sich wirklich darum, was ich so trieb oder dachte und fühlte. Mein Leben als niedliche Kleine schien völlig losgelöst von dem Alltag der Erwachsenen, die mich umgaben.

    Obwohl ich die tieferen Ursachen nicht kannte, registrierte ich selbstverständlich, dass ich nur bös genug wüten musste, um sofort alle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Sobald ich störte, nicht zu dem gediegenen, seriösen Lebenswandel meiner Familie passte, wenn die Nachbarn schief guckten und Bemerkungen über mich machten, dann auf einmal war jemand für mich da . Und meist war es mein Vater. Ich liebte es, wenn er mich fragte, was denn mit mir los sei, und mich dabei tröstend oder mahnend auf den Schoß zog oder im Arm hielt.
    Sehr genau erinnere ich mich, wie heftig ich mich als kleines Kind danach sehnte, jeden Tag so von meinem Vater gehalten zu werden. Er war groß und stattlich anzusehen. Wenn er mich umarmte und an seine Brust zog, war es, als könne die ganze Welt mir nichts mehr anhaben.
    Eine schlimme Strafe, die schlimmste überhaupt, war die Drohung meines Vaters: »Wenn du jetzt nicht brav bist, hab ich dich nicht mehr lieb.« Diesen Satz machte er auch wahr, wenn er manchmal tagelang nicht mehr mit mir sprach und sich durch nichts erweichen ließ, mir wieder gut zu sein. Die Angst vor dieser Art Ausgrenzung hat mich bis heute nicht losgelassen.

Die Liebe zu meinem Vater

    In meinem kindlichen Unverstand nahm ich an, dass meine Eltern mich nicht wirklich liebten. Ich sah bei anderen Kindergartenkindern, dass sie gescholten wurden, wenn sie böse waren, und anschließend besonders lieb umarmt wurden, wenn sie wieder lieb waren.
    Wie oft habe ich das ausprobiert, indem ich absichtlich frech war oder vor den Augen meiner Eltern etwas tat, von dem ich genau wusste,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher