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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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diese Schattenwand mit ihren schriftstellerischen Mitteln konstruiert, so dass wir uns auf das Wagnis dieser Buchveröffentlichung einlassen konnten.

    Mit meiner Lebensgeschichte will ich dazu beitragen, dass es niemals zur gesetzlichen Freigabe von sexuellen Handlungen durch Erwachsene an Kindern kommt.
    Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr Opfer von Kindesmissbrauch auf Verständnis und Solidarität in der Gesellschaft angewiesen sind und dass Bücher über Erfahrungen und Bewältigungsstrategien für andere Opfer echte Lebenshilfe bedeuten.
    Wir wünschen uns, dass unser Buch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, etwas bedeuten möge. Wir vertrauen es Ihnen an, um Sie für die Zeichen zu sensibilisieren, die alle Kinder aussenden, die sexuell missbraucht werden oder wurden. Auch wenn der Täter ein Mann Gottes ist.

    Cora O. und Karin Jäckel

Cora O.

    Als ich den Decknamen »Cora O.« für mich wählte, dachte ich spontan an Heinrich von Kleists 1808 veröffentlichte Novelle »Die Marquise von O.«, die ich zum Ende meiner Schulzeit gelesen habe. Schon damals erkannte ich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Schicksal der Hauptfigur und meinem eigenen.
    Die Marquise wird von einem Mann, der ihr wie ein rettender Engel erscheint, zunächst aus einer Notlage befreit, um von demselben Mann, der ihr dann wie ein Teufel vorkommen musste, sexuell missbraucht zu werden. Dabei ist sie ihm, dem sie ihr volles Vertrauen geschenkt hatte, vollkommen hilflos ausgeliefert.
    Ganz ähnlich erlebte ich, ein innerlich zutiefst vereinsamtes Kind in seelischer Not, meine Begegnung mit dem Mann, der sich als mein bester Freund ausgab und sich so in mein Vertrauen und mein Herz schlich. Als ich ihm dann nichts mehr entgegenzusetzen hatte, nutzte er dies aus, um mich sexuell zu missbrauchen. Zwar wurde ich durch ihn nicht, wie die Marquise von O., unwissentlich geschwängert, gleichwohl brachte er mich »in andere Umstände«, denn er veränderte die äußeren und inneren Umstände meines Lebens komplett. So sah auch ich in diesem Mann zunächst einen Engel, den Gott mir geschickt hatte, und musste später erkennen, dass er in Wahrheit ein Teufel war.
    Dass ich mir den Vornamen »Cora« gab, liegt an der Bedeutung dieses lateinischen Namens, der >Herz<, >Seele< oder auch >Individuum< bedeutet. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass der erlittene sexuelle Missbrauch mich mitten ins Herz, zutiefst in die Seele traf und mich so zu dem Individuum, zu dem Menschen machte, der ich heute bin.
    Weil ich einem falschen Engel vertraute, der mich auf teuflische Weise ausnutzte, entstand aus meiner verletzten Seele das Buch der »Cora O.« Ich finde, dieser Name passt zu mir.

    Vor allem aber wähle ich den Decknamen »Cora O.«, um in jedem Fall vor meinen Eltern und meiner Großfamilie anonym zu bleiben.
    Bis heute wissen, ja, ahnen sie nicht einmal, dass ich als Kind von meinem zwölften Lebensjahr an von Frederic Pfeiffer, unserem allseits bewunderten Gemeinde-Vikar, zum Alkohol verführt und vielmals sexuell missbraucht wurde. Damals war es unser beider Geheimnis. Bis heute ist es meines. Nicht auszudenken, wenn meine Familie davon erführe!
    Was geschehen würde? Ich weiß es nicht. Aber in mir ist die Ahnung, dass es etwas Furchtbares wäre. Es mag eine kindliche, unreife Ahnung sein. Dennoch oder wohl gerade weil sie aus den Abgründen meiner Kindheit und Jugend stammt und niemals durch Offenheit aus der dumpfen Angst dieser Zeit erlöst wurde, ist sie unerträglich real. Ich kann sie nicht als Hirngespinst abtun. Vielleicht, so fürchte ich, würde die Tatsache, dass ich durch einen katholischen Priester sexuell missbraucht wurde, die ganze Familie zerstören. Der Schock könnte meine Eltern umbringen. Womöglich würden sie mich dann, wenn alle wüssten, was mir widerfahren ist, endgültig und für immer aus dem Schoß der Familie ausgrenzen. Das wiederum würde mich töten.

Verlassensängste

    Ich war wohl nie ein pflegeleichtes Kind. Mag sein, dass mich diese Angst vor dem Verlassenwerden von Beginn meines Lebens an, mehr oder weniger bewusst, schon immer begleitete.
    Der Grundstein dieser Ängste wurde bereits unmittelbar nach meiner Geburt gelegt. Zwar bin ich ein Einzelkind, das als lang ersehntes Wunschkind gezeugt wurde, als meine Eltern die Hoffnung auf Nachwuchs fast schon aufgegeben hatten. Doch kaum geboren, wurde ich häufig von meiner Mutter getrennt, die nach der Entbindung immer kränkelte und der mein
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