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Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
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der Doktor einen dieser Fälle auf.
    »Schreinerei«, begann er. »Niedergebrannt bis auf die Grundmauern. In den Trümmern entdeckt die Feuerwehr eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche. Ohne - und das rief uns auf den Plan und das ist auch der Bezug zu dieser Geschichte hier - ohne Kopf. Fand sich dann ein paar Meter weiter, der Kopf. Abgesägt«, betonte er und schnalzte mit der Zunge. »Mit, wie sich herausstellen sollte, einer Bandsäge. Großes Ding, stand mitten in der Werkstatt, ihr zu Füßen der verkokelte Torso.«
    Jochen gab ein Geräusch von sich wie jemand, der Mühe hat, ein Aufstoßen unten zu halten.
    »Es war, um es kurz zu machen, der Tischlermeister persönlich. Hatte einen Safe, im Büro seiner Werkstatt, und der stand offen und war leer gefegt. Raubmord, sagte die Kripo. Anschließend Feuer gelegt zur Verwischung der Spuren. Weitere Ermittlungen brachten ans Licht, dass er erst ein paar Wochen zuvor eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen hatte, der Meister, und eh sie sich versah, saß seine Witwe auch schon in U-Haft.«
    Stich für Stich nahm der Seebestattungssack um den Leichnam herum Form an.
    >Doch<, dachte ich.
    »Doch«, sagte der ehemalige Pathologe, »ergaben sich bei näherem Hinschauen ein paar Ungereimtheiten.« Er sah kurz auf, um zu überprüfen, ob er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Zufrieden fuhr er fort. »Ein ehemaliger Mitarbeiter der Schreinerei brachte mich drauf. Aus irgendeinem Grund hatte jemand die hydraulische Furnierpresse direkt vor die Bandsäge gerückt. Was keinen Sinn machte, da dies exakt der Platz ist, den man zum Arbeiten an der Säge braucht. Obendrein war an einem der Hydraulikstempel manipuliert worden. Jemand hatte ihn aus seiner normalerweise senkrechten Position in eine waagerechte Lage gebracht, ausgerichtet auf das Band der Säge. Ja, bei näherem Hinsehen entdeckte ich Schnittspuren der Sägezahnung im untersten Teil des Stempels. Mir kam da eine Idee. Und siehe da: Nachfragen bei der Bank ergaben, dass der Tischlermeister pleite war. Vollkommen. Hoch verschuldet, Werkstatt und Haus kurz vor der Zwangsversteigerung, Familie vor dem Ruin. Was macht er also? Schließt eine hohe Lebensversicherung ab, manipuliert seine Furnierpresse, stellt die Bandsäge an, legt den Kopf auf den Sägetisch, den Hydraulikstempel im Genick, startet die Presse und -«, triumphierend sah er vom säuerlich dreinblickenden Jochen zu mir und wieder zurück, »sägt sich selber den Kopf ab!«
    Jochen schluckte, hörbar selbst über dem Dieselbrummen.
    »Der Stempel drückt und drückt, die Säge sägt und sägt, irgendwann fällt der Kopf herunter und rollt davon, der Torso sackt zusammen, doch der Stempel drückt weiter, gegen das rasende Band der Säge, die Funken stieben, entzünden überall herumliegende trockene Holzspäne - der ganze Laden brennt komplett nieder, Feuer- und Lebensversicherung werden mit einem Doppelschlag zur Kasse gebeten.« Naht und Story waren kurz vor ihrem gemeinsamen Ende.
    >Nur<, dachte ich.
    »Nur«, sagte der Doktor mit der leisen Stimme von jemand, der es gewohnt ist, Pointen zu servieren, »dass Selbstmord und damit verbundenes Abfackeln der eigenen Werkstatt unter die so genannten Ausschlussklauseln fallen. Nachdem ich mein Gutachten abgeliefert hatte, wurde die Witwe augenblicklich auf freien Fuß gesetzt, doch von dem Geld hat sie nie etwas gesehen.« Und Dr. Köthensieker gluckste auf eine unnachahmlich selbstzufriedene Art in sich hinein, ganz so, als wäre Witwen um die Versicherungssumme zu bringen das denkbar köstlichste Vergnügen, das einem Kenner der Materie widerfahren kann.
    »Was Sie so verstört«, sprach er mich wieder an, »ist dies …« Er schlug noch einmal das Laken zurück und wies mit der Nadel auf den Halsbereich des Leichnams. »Ihnen ist die Trennungslinie zwischen Haupt und Rumpf nicht sauber genug«, stellte er fest, deckte den Kopf wieder zu und stichelte weiter. »Und Sie haben keine rechte Erklärung für die Verletzungen an Armen und Händen.«
    Außer der nahe liegenden, dass man instinktiv die Hände hochhebt, wenn jemand versucht, einem ein Schwert in den Hals zu hacken, dachte ich.
    »Möglicherweise bin ich selber nicht ganz unschuldig an dieser Ihrer Skepsis.« Er hielt kurz inne, um sich das Kinn zu reiben, mit einer Geste zerknirschten Selbstvorwurfs. »Als ich den Moment der Straffung des Drahtes unter dem Gewicht des fallenden Körpers mit >Zapp< lautmalerisch umschrieb, habe ich Ihnen
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