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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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spüren. Tonnen um Tonnen eisigen, tödlichen Wassers, das das Schiff wie eine gewaltige Faust umklammerte und gierig an seinen Flanken leckte, immer auf der Suche nach einem Riß, einer Spalte, einer haarfeinen undichten Stelle, die es sprengen und zu einem Leck erweitern konnte.
    Skars Atem ging unwillkürlich schneller. Er versuchte den Gedanken zu vertreiben und sich einzureden, daß seine Sorgen unbegründet seien, aber die Furcht in seiner Seele war nicht von der Art, gegen die man sich mit Logik zur Wehr setzen konnte.
    Gowenna sah auf, als er neben sie trat. Ihre Haut glänzte wie Wachs in der trübroten Beleuchtung, und ihr Haar war, obwohl sie es auch hier an Bord jeden Tag sorgsam kämmte und bürstete, strähnig und glanzlos geworden. Das Salzwasser hatte die Farbe herausgebissen. Sie schien um Jahre gealtert und wirkte krank. Aber sie hatte die Wache vor Skar gehabt — zwölf Stunden bei eisigem Wind und kälteklirrender Luft —, und ihre Züge waren von der Anstrengung gezeichnet.
    Skar nickte knapp. »Du schläfst nicht?«
    Gowenna verneinte. »Nein, wie du siehst.« Sie sprach schnell und fast ohne jede Betonung, und ihre Lippen, die sich nur zur Hälfte bewegten, ließen die Worte noch monotoner erscheinen, als sie ohnehin klangen.
    »Ich konnte nicht schlafen.« Sie machte eine einladende Geste, stützte sich mit den Ellenbogen auf die Tischplatte und bettete das Kinn in die Hände.
    Skar zögerte einen Moment und ließ sich dann auf einen der dreibei-nigen Schemel sinken. Sein Blick suchte den Rayans. Sie waren seit elf Tagen an Bord der SHAROKAAN, aber es war das erste Mal, daß er Rayan — oder irgendein anderes Mitglied der Besatzung- im Gespräch mit Gowenna sah. Bisher hatten sie alle ihre Nähe beinahe ängstlich gemieden.
    Zwischen den buschigen Brauen des Freiseglers entstand eine steile Falte. »Du hast Wache«, sagte er leise. Rayan war kein Mann großer Worte. Während der letzten Tage war seine Art zu reden noch knapper als gewöhnlich geworden, und wenn er überhaupt sprach, dann kam er ohne Umschweife oder verzierende Schnörkel direkt zur Sache.
    »Möglich«, antwortete Skar trotzig. »Aber ich pflege Befehle nur dann zu befolgen, wenn ich ihren Sinn zu erkennen vermag.«
    Seine rüde Antwort tat ihm fast sofort wieder leid. Er hatte keinen Streit mit Rayan; im Gegenteil. Aber die Stimmung an Bord war gereizt, und er machte da keine Ausnahme. Schließlich war auch er nur ein Mensch.
    Zu seiner Überraschung nahm Rayan die Worte hin, ohne mehr als ein leises Stirnmnzeln als Zeichen seiner Mißbilligung zu äußern.
    »Skar hat recht«, sagte Gowenna. »Eine Wache hat nur dann Sinn, wenn es etwas zu bewachen gibt. Es hat nicht sehr viel Sinn, seine Kräfte damit zu verschleißen, daß man dem Sturm zusieht und die Hagelkörner zählt. Es wäre klüger, wenn du deine Leute für den Kampf schonst.«
    Der Vede wollte auffahren, aber Rayan brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zur Ruhe. Er lehnte sich zurück, musterte Gowenna mit einem schwer zu deutenden Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. In seiner Stimme schwang ein spöttischer Ton, als er antwortete. »Es wird keinen Kampf geben«, sagte er ruhig. »Gegen Brandgeschosse kämpft es sich schlecht.«
    »Wie lange wird es noch dauern, bis sie uns einholen?« fragte Skar hastig, als er sah, wie sich Gowennas Gesicht vor Ärger verdüsterte. Auch sie war reizbarer geworden. Schon eine spöttische Entgegnung wie die Rayans konnte genügen, sie aus der Haut fahren zu lassen.
    Und das letzte, was sie im Moment gebrauchen konnten, war ein Streit zwischen einem von ihnen und Rayan oder seinen Veden. Sie waren Gäste an Bord, aber — das hatte er sehr schnell begriffen — keine willkommenen, sondern allerhöchstens geduldete Gäste.
    Rayan zuckte mit den Achseln, beugte sich vor und griff nach der ausgefransten Zeichenfeder, die vor ihm lag, um damit zu spielen. Ihre Spitze hinterließ eine Reihe unregelmäßiger dunkler Tintenflecke auf der Tischplatte.
    »Einen Tag«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Allerhöchstens zwei — wenn wir Glück haben und unser Tempo halten können, heißt das. Vielleicht auch weniger«, fügte er mit einem lakonischen Achselzucken hinzu. »Niemand weiß genau, wie weit ihre Katapulte schießen. Aber wir werden es sicher bald erfahren.« »Zumindest weiter als unsere Pfeile«, sagte Gowenna. Sie fuhr plötzlich herum, starrte Skar an und schlug die Faust in die geöffnete Linke.
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