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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht, manchmal am falschen Ort oder zu klein oder zu groß eingezeichnet. Nicht einmal ihre genaue Ausdehnung war bekannt. Man wußte, wo sie begann, wo die kargen braunen Steinebenen Tuans in das wellige Ocker der Sanddünen übergingen, aber anscheinend war noch niemand weit genug-gekommen, um zu berichten, wo sie endete und was dahinter lag. Vielleicht nichts. Eine unwegsame Steilküste, hinter der das Nebelmeer begann. Vielleicht führte diese hitzezerkochte Einöde geradewegs in die Hölle, und vielleicht würde es ihr Ende nur hinauszögern, selbst wenn ein Wunder geschah und sie Wasser fanden. Mit jeder Meile, die sie zurücklegten, jedem Schritt, zu dem die ausgelaugten Pferde ihre Beine zwangen, erschien Skar ihr Tun. sinnloser. Aber er würde nicht aufgeben. Nicht bevor Del aufgab. Das war er ihm schuldig.
    Sie waren eine halbe Stunde geritten, als Dels Pferd abermals strauchelte. Skar griff gedankenschnell zu, aber diesmal kam seine Reaktion um eine Winzigkeit zu spät. Das Pferd stolperte, machte einen ungeschickten Versuch, sein Gleichgewicht wiederzufinden, und fiel mit einem schmerzhaften Schnauben auf die Knie. Del verlor die Balance, rutschte aus dem Sattel und fiel schwer in den Sand.
    Skar sprang von seinem Tier und kniete neben dem jungen Satai nieder. Del stöhnte; ein krächzender, qualvoller Laut, der Skar unter anderen Umständen das Blut in den Adern hätte gerinnen lassen. Vorsichtig hob er Dels Kopf an, bettete ihn in seinem Schoß und griff mit der Linken nach dem Wasserschlauch. Der Vorrat war auf einen kärglichen Rest zusammengeschrumpft, kaum genug, den Schlauch sichtlich auszubeulen. Er hantierte eine Zeitlang ungeschickt am Verschluß, beugte sich dann herab und träufelte Del behutsam einen Teil der kostbaren Flüssigkeit auf die Lippen.
    Dels Gesicht zuckte. Seine Zunge — rot, trocken und unförmig aufgequollen, fuhr gierig über die Lippen und leckte nach dem schalen, übelriechenden Naß. Skar zögerte einen Herzschlag lang, hob dann mit einem fatalistischen Seufzer die Achseln und goß den Rest ihres Wasservorrates in den Mund; wenige, jämmerliche Tropfen, nicht einmal genug, seinen ausgetrockneten Rachen zu benetzen, eine Ahnung von Wasser, das kaum seine Kehle erreichte. Sie waren tot, so oder so.
    Die Pferde würden sie keine fünf Meilen mehr tragen können, ganz egal ob mit oder ohne Wasser.
    Del stöhnte, schlug die Augen auf und tastete blind umher. Dann klärte sich sein Blick. »Was…«, krächzte er. »Das Wasser… Du…«
    Skar brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Laß gut sein, Kleiner. Die paar Tropfen hätten uns sowieso nicht geholfen. Und du hast es gebraucht.«
    Er legte den leeren Schlauch neben sich in den Sand und seufzte: »Wir sind erledigt, alter Junge. Endgültig.«
    Er wunderte sich beinahe selbst über die Ruhe, mit der er die Worte aussprach. Es war kein Bedauern in seiner Stimme, kein Zorn… Nichts. Eine kalte, sachliche Feststellung.
    Del lachte leise. »Ich dachte schon, du würdest es nie zugeben. Ich weiß es schon seit Tagen. Schon, als wir in diese gottverdammte Wüste hineingeritten sind.« Er versuchte hochzukommen, glitt im lockeren Sand aus und blieb mit einem gemurmelten Fluch liegen.
    »Erinnerst du dich an das Mumienheer?« fragte er leise.
    Skar nickte. Sie hatten die schweißende, tote Armee am zweiten Abend ihrer verzweifelten Flucht gefunden — Hunderte, vielleicht Tausende von kleinen, mumifizierten Leichen, vielleicht schon vor Jahrhunderten von der mörderischen roten Sonne verkohlt und gleichzeitig konserviert. Männer in zerschrammten, goldenen Panzern und eigenartigen Helmen. Eine Armee, eine ganze Armee mit unzähligen Soldaten und Tieren war hier in den Tod gegangen. Und sie bildeten sich ein, die Wüste besiegen zu können! .
    »Wir hätten umkehren müssen«, sagte Del. »Jeder Narr hätte die Warnung verstanden, Skar. Jeder. Nur wir nicht. Wir… hätten umkehren müssen!«
    »Das konnten wir nicht«, widersprach Skar lustlos. »Die Quorrl…«
    »Die Quorrl!« Del fuhr hoch. »Ich hätte den Tod unter einer Quorrl-Klinge dem hier vorgezogen!«
    Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, stieg eine kaum zu beherrschende, irrationale Wut in Skar auf. »Dann kehr doch um!« brüllte er. »Lauf doch zu deinen Quorrl! Sie warten sicher noch auf dich!« Er sprang auf, wandte sich brüsk um und lief mit schnellen Schritten die gegenüberliegende Düne empor. Auf halbem Wege blieb er stehen, ballte die
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