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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt
Autoren: Koppel Hans
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sie an. Ihr Wortwechsel klang eingeübt. Gestelzt. Das konnte natürlich an dem unerwarteten Wiedersehen liegen, an der unangenehmen Situation. Sie redete sich ein, dass die Angst, die sie empfand, unbegründet war.
    »Stell dir vor, nach all den Jahren treffen wir dich wieder«, sagte der Mann.
    »Ja«, erwiderte Ylva.
    Er musterte sie, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, sein Grinsen zu verbergen. Ylva wich ihm schließlich mit dem Blick aus.
    »Welches Haus haben Sie denn gekauft?«, fragte sie und strich sich nervös das Haar aus der Stirn. »Das oben am Hang? Das weiße?«
    »Genau das«, erwiderte der Mann und schaute geradeaus.
    Er sah ganz normal aus. Ylva beruhigte sich wieder.
    »Ich habe mich schon gefragt, wer da wohl eingezogen ist. Mein Mann und ich haben uns gestern noch darüber unterhalten. Wir haben allerdings auf eine Familie mit Kindern getippt …«
    Ylva unterbrach sich.
    »In diese Gegend ziehen vorwiegend Familien mit Kindern«, erklärte sie. »Da war doch eine große Baustelle. Musste viel renoviert werden?«
    »Wir haben nur den Keller umgebaut«, sagte der Mann.
    »Dein Mann«, sagte die Frau und sah Ylva im Rückspiegel an. »Du bist also verheiratet?«

    Es klang so, als wüsste sie die Antwort auf diese Frage bereits.
    »Ja.«
    »Kinder?«
    »Wir haben eine Tochter. Sieben, fast acht.«
    »Eine Tochter«, wiederholte die Frau. »Wie heißt sie?«
    Ylva zögerte.
    »Sanna.«
    »Sanna. Das ist ein schöner Name«, erwiderte die Frau.
    »Danke«, sagte Ylva.
    Sie sah den Mann an. Er schwieg. Sie schaute auf die Frau. Beide schwiegen. Die Stille war unangenehm, und Ylva sah sich gezwungen, etwas zu sagen.
    »Wieso sind Sie hierhergezogen?«, fragte sie.
    Sie wollte die Frage beiläufig klingen lassen, schließlich war sie naheliegend. Aber sie hatte einen trockenen Mund, und die Sprachmelodie klang irgendwie falsch.
    »Ja, wieso eigentlich?«, sagte der Mann. »Liebling, erinnerst du dich, warum wir hierhergezogen sind?«
    »Du hast die Stelle am Krankenhaus bekommen«, sagte die Frau.
    »Stimmt«, meinte der Mann. »Ich habe die Stelle am Krankenhaus bekommen.«
    »Wir wollten noch einmal neu anfangen«, sagte die Frau und blieb an der Tågagatan an einer roten Ampel stehen.
    Dreißig Meter weiter warteten ein paar Leute an der Bushaltestelle.
    »Hören Sie«, sagte Ylva. »Danke für das Angebot, mich
mitzunehmen, aber ich würde doch lieber den Bus nehmen.«
    Sie öffnete den Sicherheitsgurt und betätigte den Türöffner, ohne dass sich etwas tat.
    »Kindersicherung«, sagte der Mann.
    Ylva beugte sich zwischen den Sitzen vor und legte der Frau eine Hand auf die Schulter.
    »Öffnen Sie bitte die Tür, ich will aussteigen. Mir ist übel.«
    Der Mann steckte eine Hand in die Innentasche seines Jacketts und zog einen viereckigen Gegenstand heraus, der etwas größer war als seine Handfläche.
    »Weißt du, was das ist?«
    Ylva nahm ihre Hand von der Schulter der Frau und betrachtete ihn.
    »Komm schon«, sagte der Mann. »Wie sieht das aus?«
    »Wie ein Rasierapparat?«, fragte Ylva.
    »Stimmt«, sagte der Mann. »Sieht aus wie ein Rasierapparat, ist aber kein Rasierapparat.«
    Ylva zerrte erneut an dem Türöffner.
    »Machen Sie die Tür auf, ich will …«
    Der Elektroschock führte dazu, dass sich Ylva aufbäumte. Der lähmende Schmerz hinderte sie daran zu schreien. Eine Sekunde später erschlafften ihre Muskeln, und ihr Kopf sank auf den Schoß des Mannes. Es erstaunte sie, dass ihre Atmung noch funktionierte, obwohl ihr sonst nichts mehr gehorchte.
    Der Mann streckte die Hand nach Ylvas Handtasche aus, öffnete sie und nahm ihr Handy heraus. Er entfernte
den Akku und schob ihn in die Innentasche seines Jacketts.
    Ylva merkte, wie der Wagen anfuhr und die Bushaltestelle passierte. Der Mann hielt den Elektroschocker bereit.
    »Die Lähmung ist nur vorübergehend. Bald kannst du dich wieder ganz normal bewegen und sprechen.«
    Er tätschelte sie tröstend.
    »Alles wird gut. Du wirst schon sehen. Alles wird gut.«

5. KAPITEL
    Sein Vermögen betrug eine Viertelmilliarde Kronen, und was tat er? Er stand nur mit einer Unterhose bekleidet im Keller und wühlte in unausgepackten Umzugskartons herum, auf der Suche nach einem alten Schülerjahrbuch. Auch eine Art, sich die Zeit zu vertreiben.
    Jörgen Petersson hatte gut und gern die Hälfte der Kartons geöffnet und ihren Inhalt in Augenschein genommen, als er fand, was er suchte.
    Er blätterte in dem Heft und betrachtete die Fotos,
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