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Engelstation

Engelstation

Titel: Engelstation
Autoren: Walter Jon Williams
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Arme und zwei Beine, was nicht ganz der Norm für Gezeitenreiter-Profis entsprach. Ubu verfügte über ein zusätzliches Paar Arme. Ihr Vater hatte bei ihrer Zucht Wert auf Anpassungsfähigkeit und nicht auf Spezialisierung gelegt. Ubu war dreizehn Jahre alt und einen Meter dreiundneunzig groß. Die vorherrschende Moderichtung war betont androgyn, und er setzte sich mit seiner Kleidung dagegen ab: Er trug abgeschnittene Jeans, Sandalen und eine silberne Weste, die aus einem Stück alter Reflektorfolie geschnitten war und von orangefarbenem Klebeband zusammengehalten wurde. Seine blonden Haare hingen ihm zottig über die Ohren. Sein Oberkörper mit den massiven, überlappenden Armmuskeln war kräftig, wie es für Shooter typisch war. Er konnte schnell sein, wenn er wollte.
    Die schöne Maria war elf Jahre alt und drei Zentimeter kleiner als ihr Bruder. Sie trug ein langes Gewand, das genauso rauchgrau war wie ihre Augen. Die weiche Aureole blauschwarzer Haare ließ ihr blasses Gesicht wie Sahne leuchten, die in ein schwarzes Glas gegossen wurde. Sie hatte eine leise Stimme, und ihre Hände bewegten sich weiß wie Tauben durch die Luft. Die langen Haare waren ungewöhnlich für einen Shooter, aber sie paßten zu Maria. Ihr Name war auch nicht unpassend.
    Ein vierarmiger Shooter, ein Mutanto, rollte auf seinem Leichtkarren vorbei und winkte mit einem Arm, der sich in einem Hüftgelenk drehte. Der Schmerz in seinen Augen verzerrte ein faltenloses Gesicht, in dem keine Schwerkraft ihre Spuren hinterlassen hatte. Maria war klar, daß er verzweifelt sein mußte, wenn er ganz bis zum Kranz kam, um seine Geschäfte zu tätigen, wo er doch in der Nabe bleiben und sie per Telefon erledigen konnte, ohne daß ihn sein eigenes Gewicht zermalmte.
    Verzweifelt. So wie die Besatzung der Runaway .
    Zumindest hatten Ubu und sie mehr Möglichkeiten, dachte sie. Wenn der Mutanto seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnte, würde er keine andere Wahl haben, als sich langfristig bei einer Firma wie Biagra-Exeter zu verpflichten. Mit einem Vertrag zu ihren Bedingungen; der Mutanto war dann nur ein Bettler.
    Maria verdrückte ein Stück Huhn, wobei ihr der Cayennepfeffer den Gaumen verbrannte, und nahm dann einen Schluck von Ubus Bier. Ein Stück weiter vorn, wo das Zwielicht in die strahlend weißen Korridore des Draußen überging, sah sie die Grenze der Randzone. Ein kalter Hauch streifte sie. »Uniquip ist nicht mehr da«, sagte sie. »Schau. Die Randzone ist kleiner geworden.«
    »Jesus Ristes. Ist erst ein paar Monate her.« Er leckte sich die Lippen. »Wo sollen wir unsere Fracht verkaufen? Die Hiliner werden sie nicht haben wollen.«
    An der Grenze der Randzone war kein Strich gezogen, und es gab auch keine durchsichtige Glaswand an der Stelle, wo sie in Richtung zum Draußen vom Jetzt abging, aber es hätte gut so sein können. Die Randzone war dunkel und belebt, erfüllt von der Vitalität der Menschen, die ihren Geschäften nachgingen, vom Getuschel kleiner Transaktionen und dem scharfen Geruch von Schweiß und Adrenalin, den jene absonderten, die im Bereich der Marge operierten, wo die Einnahmen nur knapp die Kosten überstiegen. Jenseits des Zwielichts war die Metallstraße mit hauchdünnen Scheiben weißen Marmors gepflastert, die in Plastik eingeschweißt und in großen, klopapierähnlichen Rollen ausgelegt worden waren. An der hell erleuchteten Straße hatten die großen Unternehmen ihren Sitz, die Konzerne, die sich über den ganzen von Menschen besiedelten Raum ausdehnten und ihre Transporterflotten, ihre Stationen und Linienschiffe, ihre Finanz- und Investment-Zentren steuerten – die Outsider, die bei den Multi-Pollies im Zentrum des von Menschen bewohnten Weltraums immer ein offenes Ohr fanden. Diese hätten das ganze Universum am liebsten zu einer endlosen Flucht weißer, belebter Korridore gemacht, bevölkert von ordentlichen Menschen, die emsig damit beschäftigt waren, Kapital zu akkumulieren und an den sichersten Orten zu investieren, ihr Geld also den Outsidern zur Finanzierung der Konsolidierungspolitik der Multi-Pollies zu geben und ihre Augen vor der Grenze, der Marge und jeder Expansion zu verschließen.
    Ubu räusperte sich und spuckte aus. Sein Speichel flog im Bogen aus dem Zwielicht in die kalte, fluoreszierende Welt der Menschen im Draußen. »Scheiß drauf«, sagte er.
    »Sie ist kleiner«, wiederholte Maria. Ihre Stimme klang traurig.
    »Vielleicht lassen sie einen Teil der Randzone weiter
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